Die gute Geschichte: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende
In ihrem Beitrag für das 24. Türchen des geschriebenen Adventkalenders und bei „Tirol Live“ spricht Tirols Caritas-Direktorin Elisabeth Rathgeb über 1001 gute Geschichten und ein bewegtes Jahr.
Innsbruck – „Ich möchte gerne spenden: 1 Ziege und 5-mal Babynahrung“, so hat mir neulich ein älterer Mann geschrieben. Er war in seiner Jugend selbst Ziegenhirte in Tirol und möchte deshalb ein „Schenken mit Sinn“-Projekt der Caritas in Afrika unterstützen. Solche und ähnliche gute Geschichten dürfen wir in der Caritas regelmäßig erleben. Sie sind die Kehrseite der Not.
📽️ Video | Elisabeth Rathgeb in „Tirol Live”
Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückschaue, tauchen viele Bilder in meiner Erinnerung auf: Einige gehen mir sehr nah. Manche sind erst auf den zweiten Blick gute Geschichten.
Da ist die Familie in Armenien, die wir bei einem Besuch im Juni kennen gelernt haben. Sie lebt seit dem Erdbeben 1988 in einem Eisenbahnwaggon. Die Großmutter braucht Chemotherapie, die Mutter versorgt drei kleine Kinder. Ihr 34-jähriger Ehemann wurde vier Wochen vor unserem Besuch erstochen, als er einen Streit schlichten wollte. Die Verzweiflung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Der einzige Strohhalm in dieser Katastrophe ist die armenische Caritas-Mitarbeiterin, die mit einem Nothilfepaket und Rat und Tat zur Seite steht.
Ein Highlight hingegen war unser Besuch im Haus Sabine in Armenien, das mit Tiroler Hilfe aufgebaut werden konnte: Es ist eine Kinder-Wohngemeinschaft. Ich sehe noch den Lebensbaum in der Diele vor mir mit den fröhlichen Fotos der Kinder, die hier leben. Und in der Mitte ein Foto von Sabine.
Ein anderes Bild geht mir auch nicht mehr aus dem Kopf: Die Gruppe junger ukrainischer Frauen mit ihren Babys im Arm im Foyer der Caritas in Innsbruck Anfang März. Es ist mucksmäuschenstill. Die Lebensmittelgutscheine, die wir ihnen übergeben können, sind weit mehr als nur ein voller Einkaufswagen. Sie sind ein Zeichen der Solidarität.
Die Welle der Hilfsbereitschaft, die der Ukraine-Krieg ausgelöst hat, bewegt mich nachhaltig und erfüllt mich mit großer Dankbarkeit:
Monika, die ich an einem Sonntag um 8 Uhr Früh angerufen habe mit der Bitte, ob sie eine hochschwangere ukrainische Frau und ihren 14-jährigen Sohn aufnehmen könnte: Ja, natürlich!
Elfie, die mit einer großzügigen Spende für die Geflüchteten in die Caritas kommt und mir ihre eigene Fluchtgeschichte als junges Mädchen am Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt.
Der ältere Herr, der spontan und gratis eine Wohnung für Geflüchtete zur Verfügung stellt und sie noch immer beherbergt. Die große Spendenbereitschaft der Tirolerinnen und Tiroler, die über 1,3 Millionen Euro für die Ukrainehilfe allein in unserer Caritas bringt. Die 2100 Schülerinnen und Schüler, die am Laufwunder der Young Caritas teilnehmen und ein Rekord-Ergebnis von 72.000 Euro erlaufen. Die Tiroler Feuerwehren, die an drei Samstagen Sachspenden sammeln mit einem sensationellen Ergebnis: Über 1000 Paletten an Hilfsgütern konnten wir an die Caritas Ukraine und die Nachbarländer liefern.
Genauso wie der Ukraine-Krieg bewegen auch die Teuerungswelle und ihre Folgen für schwächere Einkommensschichten die Menschen in Tirol: Viele spenden ihren Klimabonus ganz oder teilweise an die Caritas zur Unterstützung von Mindestpensionist*innen, Alleinerziehenden und kinderreichen Familien. Die Lebensmittelspenden für die Sozialmärkte können auch immer wieder aufgestockt werden. Und die Caritas-Haussammler*innen werden mit einem starken Ergebnis für ihre Mühen belohnt. So können wir unsere Hilfsangebote auch in schwierigen Zeiten aufrecht halten und mit Unterstützung von Bund und Land auch weiter ausbauen.
Noch ein Highlight in diesem bewegten Jahr 2022 zum Schluss: Wie die Geschichte am Anfang beweist, haben die Tiroler und Tirolerinnen bei allen Nöten im Inland und der Ukraine auch die Menschen in Afrika nicht vergessen: Das war heuer im Sommer meine große Sorge. Aber sie ist unbegründet. Die Menschen in der Sahelzone können sich auf Hilfe aus Tirol und „Wasser zum Leben“ verlassen. Alle Geschichten beweisen, dass stimmt, was Friedrich Hölderlin einmal formuliert hat: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Das dürfen wir in der Caritas immer wieder erfahren. Und dafür danke ich Ihnen allen sehr, die das durch Ihre Unterstützung ermöglichen. Schreiben wir auch im neuen Jahr wieder gemeinsam gute Geschichten!
Über Hoffnungszeichen und Lichtblicke spricht Elisabeth Rathgeb auch bei TT-Chefredakteur Alois Vahrner im Tirol-Live-Studio. (TT)