„Er zog die falschen Konsequenzen“: Pressestimmen zum Tod Benedikts XVI.
Wie die internationale Presse den Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. kommentiert.
📍 „Le Figaro“ (Paris):
„Selten wurde ein zeitgenössischer Papst so verleumdet. Für seine Gegner war Kardinal Ratzinger in erster Linie der 'Panzerkardinal', eine abscheuliche Anspielung auf seine deutsche Geschichte. (...)
War Benedikt XVI. von der Situation einer von Skandalen schon vergifteten Institution erschüttert? War er schnell von der Größe seines Amtes überfordert und bestürzt über den Widerstand der Kurie gegen die notwendigen Reformen? Dieser Mann, der an der traditionellen Messe festhielt und als konservativ galt, vollzog eine Tat von unerhörter Kühnheit. Sein Verzicht auf den Stuhl Petri veränderte in einem Augenblick den Status des päpstlichen Amtes.
Benedikt XVI. hatte weder das Charisma von Johannes Paul II. noch das Temperament von Franziskus, aber die Nachwelt wird sich an diesen großen Papst mit seinem sanften Lächeln erinnern müssen, der von einer Welt ohne Kultur und ohne Hoffnung geplagt wurde, der er ein wenig von seinem Glauben an Jesus Christus vermitteln wollte."
📍 „Lidové noviny“ (Prag):
„Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land, sagt ein altes Sprichwort. Das traf wohl auf niemanden so sehr zu wie auf Joseph Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI. Noch bevor er im Jahr 2005 zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde, hatte er als Kardinal fast ein Vierteljahrhundert der römischen Kurie gedient und die einflussreiche Glaubenskongregation geleitet. Dabei kam es mit niemandem sonst so oft zu Konflikten wie mit der Kirchengemeinde in seinem Heimatland Deutschland. Ob es nun um die Haltung zur Abtreibung ging, um die Frage einer größeren Beteiligung der Laien am Kirchenleben oder um die Zukunft des Zölibats: Immer wenn deutsche Katholiken den Wunsch äußerten, die bisherigen Positionen zu überdenken, war aus Rom ein klares Nein zu vernehmen.“
📍 „Rzeczpospolita“ (Warschau):
„Benedikt XVI. geht in die Geschichte ein als der erste Papst seit mehreren hundert Jahren, der abdankte. Es wäre jedoch sehr ungerecht, wenn man sich nur an diese Tatsache erinnern würde. Die heutige Kirche wird seit Jahrzehnten von der Krise um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger gebeutelt. Und wenn man unter den vielen Entscheidungen Benedikts XVI. nach einer wegweisenden und wichtigen sucht, dann findet man sie genau in dieser Frage.
Die allgemeine Auffassung, dass Franziskus den entschiedenen Kampf gegen Verbrecher in Soutanen aufgenommen hat, ist nicht ganz richtig. Der jetzige Papst folgt dem von Benedikt XVI. eingeschlagenen Weg. Er war es, der noch als Präfekt der Glaubenskongregation die ersten Richtlinien zu diesem Thema für die Kirchen in den USA und Irland entworfen hat; er war es, der Johannes Paul II. um eine Änderung des Gesetzes zu diesem Thema für die gesamte Weltkirche gebeten hat; ihm ist es auch zu verdanken, dass Johannes Paul II. der Glaubenskongregation das Recht zugestanden hat, über Sexualverbrechen zu urteilen und die Verjährung aufzuheben. Schließlich war er es - schon als Papst - der der Welt offen sagte, dass die Kirche ein Problem hat.“
📍 „Magyar Nemzet" (Budapest):
„Er war das Musterbild des wahren, im Aussterben befindlichen europäischen Menschen. (...) Denn vergeblich hat man die ursprünglich so schöne Idee verfälscht und zum Synonym für die Europäische Union gemacht, in der Realität existiert das Europäertum wirklich. Ein Europäertum, das Werte bedeutet und nicht unbegrenzte Freizügigkeit. (...) Der emeritierte Papst versuchte mit seinem eigenen Beispiel die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was für einen Wert Europa darstellt, wie wunderbar es ist. Und dass wir es gemeinsam bewahren müssen. (...) Noch nie war Europa so reich wie heute, doch noch nie war es in seiner Seele so ärmlich, so verwirrt, so verloren.“
📍 „Kölner Stadt-Anzeiger“:
„Es ist die Tragik Joseph Ratzingers, dass sein Pontifikat das Potenzial zu etwas Großem gehabt hätte. Anders als Johannes Paul II. erkannte er die für die Kirche und ihre Glaubwürdigkeit existenzielle Bedrohung durch den Missbrauchsskandal. Aber er zog die falschen Konsequenzen, machte bis zuletzt die 'böse Welt' mit ihrer Unmoral für den Missbrauch verantwortlich. Mängel in Verfassung und Lehre der Kirche kamen ihm dabei ebenso wenig in den Sinn wie das systemische Versagen der kirchlichen Hierarchie."
📍 „Frankfurter Rundschau“:
„Brücken bauen: Folgt man einem aus antiker Zeit überlieferten Ehrentitel des Bischofs von Rom, ist das eine wesentliche Funktion des Papsttums. Gemessen an diesem Anspruch muss das Pontifikat Benedikts XVI. als gescheitert gelten. Es ist dem deutschen Papst weder in seiner fast achtjährigen Amtszeit, noch danach als 'Papa emeritus' gelungen, sich in einen fruchtbaren Austausch mit der zeitgenössischen Gesellschaft zu begeben und seine Kirche mit der Welt von heute in Verbindung zu bringen. Aber genau genommen war das auch gar nicht das Ziel des Kardinals Joseph Ratzinger, der 2005 zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt wurde. Als Papst wollte Benedikt XVI. vielmehr - um im Bild zu bleiben - die Zugbrücke hochziehen und den Wassergraben vertiefen, um die katholische Kirche als feste Burg nur ja vor all den verderblichen Einflüssen der Moderne zu bewahren."
📍 „Weser-Kurier“ (Bremen):
„Von einer Papstbegeisterung ist nichts mehr zu spüren. Ein Beispiel: Die Kondolenzadresse von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er bleibt diplomatisch, würdigt Benedikt als Theologen und Gelehrten. Doch dann äußert sich Steinmeier zum Missbrauch in der Kirche: 'Benedikt wusste um das große Leid der Opfer und den immensen Schaden für die Glaubwürdigkeit der Kirche.' Kein Wort dazu, was der Papst aus Deutschland unternahm. Ein ohrenbetäubendes Schweigen. Noch vor einigen Jahren wäre so ein Schreiben undenkbar gewesen. Doch an diesen Ton werden sich die Kirchen gewöhnen müssen. Es gibt in Politik und Gesellschaft viele, die mit ihnen sympathisieren. Aber alles lässt man ihnen nicht mehr durchgehen. Und das ist auch gut so."
📍 „Nürnberger Nachrichten“:
„Als 'bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn' stellte sich Ratzinger vor, als er zum Papst gewählt wurde. Eine Arbeit, die er knapp acht Jahre leistete. Eine eher bleierne Zeit einer Kirche, die - das zeigte sich auch unter seinem zunächst veränderungsbereiten Nachfolger Franziskus - in ihrem Kern, dem Vatikan, von massiven Kräften der Beharrung geprägt wird. Sie sind offensichtlich so stark, dass auch Reformwillige dagegen schwer ankommen. Die gibt es allerdings vor allem in Deutschland, wo die Austrittswelle gerade die Katholiken trifft. Und wo die Ökumene trotz, nicht wegen Benedikt vorankam, von der Basis aus.“
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