Wahldrama im US-Kongress geht am Donnerstag in nächste Runde
Nicht einmal die öffentliche Aufforderung des ehemaligen Präsidenten Donald Trump an seine Unterstützer hat geholfen: Das Repräsentantenhaus steht weiter führungslos da und ist damit handlungsunfähig.
Washington – Nach einer Serie von Niederlagen für den Republikaner Kevin McCarthy geht der Machtkampf um das höchste Amt im US-Parlament an diesem Donnerstag weiter. Das US-Repräsentantenhaus stimmte am Mittwochabend dafür, die Sitzung auf Donnerstagmittag zu vertagen. Zuvor hatte McCarthy zwei Tage lang bei sechs Wahlgängen die Mehrheit bei der Wahl zum Vorsitzenden der Parlamentskammer verfehlt. Es ist offen, ob der 57-Jährige seine Gegner in der Partei noch hinter sich vereinen kann.
Am Abend (Ortszeit) wurde es im Repräsentantenhaus noch einmal spannend. Nach einer mehrstündigen Pause kamen die Abgeordneten erneut zusammen. Zuvor hatte McCarthy hinter den Kulissen verhandelt – offenbar ohne Erfolg. "Ich glaube nicht, dass eine Abstimmung heute Abend etwas ändert, aber ich denke, dass eine Abstimmung in der Zukunft etwas ändern wird", sagte er im Anschluss an die Gespräche.
📽️ Video | Erneut keine Mehrheit für McCarthy
Vertagung nur hauchdünn durchgegangen
Wohl um eine neuerliche Blamage bei einer siebenten Abstimmung zu vermeiden und Zeit zu gewinnen, beantragte ein McCarthy-Vertrauter, die abendliche Sitzung zu vertagen. Allerdings stemmten sich die Demokraten gegen das Vorhaben. Erst im letzten Moment wurde der Antrag mit einer hauchdünnen Mehrheit der Republikaner angenommen.
Am Dienstag und Mittwoch hatten mehrere Republikaner ihrem Parteikollegen McCarthy die Unterstützung verweigert und bei der Wahl um den Vorsitz für andere Kandidaten gestimmt. So versammelten sich 20 Republikaner bei den Wahlgängen am Mittwoch hinter dem Gegenkandidaten Byron Donalds. McCarthys Gegner hatten den Republikaner nominiert. Da die Republikaner in der Parlamentskammer nur eine knappe Mehrheit haben, ist McCarthy fast auf jede Stimme in seiner Partei angewiesen, um zum Vorsitzenden gewählt zu werden. Gegen ihn stellten sich glühende Anhänger des ehemaligen Präsidenten Donald Trump.
Trumps Appell verhallt bei eigenen Anhängern ungehört
Dieser schaltete sich schließlich am Mittwoch ein und rief seine Parteikollegen auf, einen Gesichtsverlust zu vermeiden und McCarthy auf den Chefposten zu wählen. Er hatte den Republikaner aus dem US-Bundesstaat Kalifornien bereits zuvor unterstützt. Über McCarthys Gegenkandidaten Donalds schrieb der Ex-Präsident auf dem von ihm mitgegründeten Netzwerk Truth Social: "Seine Zeit wird kommen, und sie wird groß sein, aber nicht jetzt!" Doch die Appelle Trumps liefen ins Leere. "Seine Partei reagierte mit einem kollektiven Achselzucken", schrieb die Washington Post. Der ehemalige Präsident und seine Unterstützung für McCarthy seien im Grunde genommen "irrelevant" gewesen.
Für McCarthy sind die Niederlagen in Serie eine historische Schlappe und eine öffentliche Bloßstellung. Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass bei der Wahl mehr als ein Anlauf nötig ist und eine Fraktion ihren Kandidaten nicht im ersten Durchgang ins Amt wählt. Es ist unklar, wie und ob McCarthy seine Gegner bis zur nächsten Abstimmung überzeugen will. Der Republikaner Scott Perry sagte, die Abstimmungen könnten sich bis ins Wochenende ziehen. Bis der Vorsitz geklärt ist, geht im Repräsentantenhaus gar nichts: Nicht mal die neuen Abgeordneten können vereidigt werden.
Extremisten stellen sich gegen Kandidaten der eigenen Fraktion
Zu den Gegnern McCarthys zählen vor allem Abgeordnete, die fest hinter Trump stehen und mit extremem Verhalten aufgefallen sind sowie Verschwörungstheorien über die Präsidentenwahl 2020 verbreitet haben. Eine von ihnen ist die 36-jährige Lauren Boebert, die bei den Zwischenwahlen ihren Sitz im Parlament für den Bundesstaat Colorado nur ganz knapp verteidigen konnte. Weitere Gegner sind Paul Gosar und Matt Gaetz. Gosar verteidigte den Mob, der am 6. Jänner 2021 das Kapitol stürmte. Gaetz machte sich immer wieder über Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus lustig.
Eigentlich gehört zu dieser Truppe auch die für Verschwörungstheorien bekannte Abgeordnete Marjorie Taylor Greene. Sie hatte McCarthy in der Vergangenheit immer wieder offen kritisiert, steht nun aber bisher fest hinter ihm. Grund dürfte sein, dass dieser ihr wichtige Posten und mehr Macht in der Fraktion versprochen haben dürfte. Bei den Abstimmungen war Greene häufiger an seiner Seite zu sehen. Ihre ehemaligen Trump-Mitstreiter von Rechtsaußen ging sie hingegen offensiv auf Twitter an.
Verhandelt McCarthy nun mit Demokraten?
McCarthy könnte nun womöglich versuchen, mit den Demokraten Verhandlungen aufzunehmen. Diese könnten ihm etwa durch Enthaltungen in ihren Reihen zu einem Wahlsieg verhelfen, weil das die Zahl der nötigen Stimmen senken würde. Möglich wäre ebenso, dass ein neuer Kandidat aufgestellt wird, auf den sich die Republikaner verständigen könnten. Denkbar wären aber auch Gespräche mit den Demokraten über einen Konsenskandidaten, den auch sie mittragen würden. Ein Ausweg war zunächst aber völlig unklar. (APA, dpa)
Das schreibt die Presse
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt:
"Ob McCarthy die Wahl doch noch schafft, ist fraglich. Er wäre von Beginn weg ein angeschlagener Speaker. Den Parteirebellen musste er sogar eine neue Regel zugestehen, wonach jederzeit fünf Abgeordnete eine Misstrauensabstimmung gegen den Vorsitzenden beantragen dürfen. Das ist ein Rezept, um diesen zur Geisel parteiinterner Splittergruppen und erpressbar zu machen.
Wie unter einem Brennglas legt das Drama im Capitol die Schwächen der Republikanischen Partei offen: Sie dürstet danach, die Demokraten zu stoppen und linke Weichenstellungen zu korrigieren. Aber sie ist zerrissen zwischen Gruppen, die sich nicht auf eine erfolgversprechende Taktik einigen können. Das Problem beschränkt sich nicht auf Donald Trump, aus dessen Schatten sich die Partei bisher nicht zu lösen vermochte. Es reicht tiefer und könnte auch zum Handicap bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr werden."
Nepszava (Budapest):
"Niemand kann mehr die Republikaner von dem Makel reinwaschen, dass es sich bei ihnen in der gegenwärtigen Verfassung um eine zerrissene, zu effektivem Regieren unfähige Gesellschaft handelt. Sie haben es sich selbst zu verdanken, beziehungsweise (dem Ex-Präsidenten) Donald Trump, doch letzten Endes haben sie auch ihn sich selbst zu verdanken, weshalb es sich nicht weiter lohnt, über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung ein Wort zu verlieren. (...) Die Tragikomödie dreht sich darum, ob es den rechtsextremen Abgeordneten, die das Wahlergebnis (der Präsidentenwahl) von 2020 negieren und in Trump verliebt sind, gelingen wird, ihren Willen der eigenen Partei und damit ganz Amerika aufzuzwingen."
La Vanguardia (Barcelona):
"Der Boykott der Wahl von Kevin McCarthy zum neuen Präsidenten des US-Repräsentantenhauses durch ultrarechte republikanische Trump-Anhänger seiner eigenen Partei hat nicht nur eine institutionelle Krise ausgelöst, sondern auch die Krise der Republikaner offen zu Tage gelegt. Donald Trump rief dazu auf, McCarthy zu unterstützen. Paradox, dass der Mann, der die Partei gespalten hat, jetzt für Einheit eintritt.
Die republikanischen Hardliner halten McCarthy vor, (Präsident Joe) Biden gegenüber zu wenig aggressiv zu sein. Sie wollen die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus dazu nutzen, viel härter gegen die Biden-Administration vorzugehen, um deren Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu behindern. Die Krise ist ein schwerer Rückschlag für die Republikaner, die von ihren radikalsten Mitgliedern blockiert zu sein scheinen und ihre derzeitige Unfähigkeit zum Regieren offenlegt."
Sechster Anlauf gescheitert
Wahldrama im US-Kongress: McCarthy setzte Serie von Niederlagen fort
Chaos im Repräsentantenhaus
Trump ruft zur Wahl McCarthys auf: Neuer Wahl-Versuch am Mittwoch
Historisches Debakel
Schmach für McCarthy im Kongress: Chefpostenwahl geht in neue Runde
Neue Sprecher gesucht