Nach Sturm auf Regierungsviertel: Brasiliens Polizei räumt Protestcamp
Der gewaltsame Angriff von Anhängern des abgewählten rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro rief weltweit Empörung hervor. US-Politiker forderten die Ausweisung Bolsonaros, der sich aktuell in Florida aufhält.
Brasilia, Washington – Nach dem Angriff radikaler Anhänger des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro auf das Regierungsviertel in Brasília ist das Camp der Unterstützer des rechten Ex-Staatschefs in der Hauptstadt geräumt worden. Schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten umstellten das Zeltlager vor dem Hauptquartier der Streitkräfte am Montagmorgen (Ortszeit), wie im Fernsehen zu sehen war. Weltweit wurde der Sturm scharf verurteilt, auch Bolsonaro distanzierte sich von den USA aus.
Einige Bolsonaro-Anhänger packten ihre Sachen zusammen und verließen das Camp. Der Oberste Gerichtshof hatte zuvor angeordnet, dass Lager innerhalb von 24 Stunden zu räumen. Einige der Unterstützer des ehemaligen Präsidenten, gehüllt in die brasilianische Flagge, saßen auf Knien und beteten.
Infolge des Angriffs wurde auch der Gouverneur des Bundesbezirks Brasilia, Ibaneis Rocha, für zunächst 90 Tage suspendiert. Trotz deutlicher Hinweise auf gewalttätige Aktionen habe der Gouverneur nichts unternommen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, sagte Höchstrichter Alexandre de Moraes am Montag. "Die Amtsenthebung ist daher vernünftig, angemessen und verhältnismäßig, um die öffentliche Ordnung zu gewährleisten und die wiederholte kriminelle Praxis zu beenden."
Nach verlorener demokratischer Wahl randalieren Bolsonaro-Fans
Am Sonntag hatten Tausende mutmaßliche Bolsonaro-Anhänger das Kongress-Gebäude, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast gestürmt und Verwüstungen angerichtet. Medienberichten zufolge hatten die Sicherheitskräfte die Lage erst nach mehreren Stunden wieder unter Kontrolle. Bolsonaro hatte die Wahl gegen den linksgerichteten Luiz Inacio Lula da Silva im Oktober verloren. Zum Jahreswechsel endete seine Amtszeit. Seine Niederlage hat er bis heute nicht eingestanden.
"Was sie heute getan haben, ist beispiellos in der Geschichte des Landes", sagte Präsident Lula, der zum Zeitpunkt der Attacke nicht in der Hauptstadt war. "Das war Barbarei. Das waren Faschisten. Sie müssen gefunden und bestraft werden." Der Linkspolitiker hatte Brasilien bereits zwischen 2003 und 2010 regiert und erst vor einer Woche als erster demokratisch gewählter Präsident des südamerikanischen Landes eine dritte Amtszeit angetreten.
Sicherheitskräfte überrumpelt
Tausende Bolsonaro-Fans hatten zuvor das Regierungsviertel gestürmt. Die Polizei wirkte völlig überrumpelt. Schnell rissen die Demonstranten die Straßensperren ein und drängten die Beamten zurück. Bald standen sie auf dem Dach des Kongresses und schwenkten brasilianische Nationalflaggen. Kurz darauf drangen sie auch in den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz ein.
Erst nach Stunden brachten die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle. Die Militärpolizei rückte mit Reiterstaffeln und gepanzerten Fahrzeugen vor. Rund 230 Verdächtige wurden festgenommen, wie Justizminister Flavio Dino mitteilte.
Die Bolsonaro-Anhänger hatten tagelang vor dem Hauptquartier der Streitkräfte campiert. Als am Samstag und Sonntag rund 4000 weitere Unterstützer des Ex-Präsidenten in Bussen in der Hauptstadt eintrafen und zum Regierungsviertel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskortiert. Polizisten machten Selfies mit den Demonstranten und drehten Handy-Videos, wie im Fernsehen zu sehen war. Der Sicherheitschef von Brasília, Anderson Torres, war unter Bolsonaro Justizminister und gilt als Gefolgsmann des Ex-Präsidenten. Er wurde noch am Sonntag entlassen. Lula stellte die öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt per Dekret unter Bundesaufsicht.
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Bolsonaro verurteilt Randalen im Nachhinein
Bolsonaro verurteilte den Angriff seiner radikalen Anhänger auf das Regierungsviertel. "Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter", schrieb der rechte Ex-Staatschef auf Twitter. "Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt."
Lula warf Bolsonaro vor, seine Anhänger aufgestachelt zu haben. Bolsonaro verbat sich die Anschuldigungen. "Ich weise die Vorwürfe zurück, die der derzeitige Chef der brasilianischen Regierung ohne Beweise erhebt", schrieb er. Der Ex-Militär hatte mit seiner Familie Brasilien bereits zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit verlassen und war in die USA gereist. Er hält sich in Florida auf, dem Heimatstaat von Ex-Präsident Donald Trump. Dessen Anhänger hatten am 6. Jänner 2021 auf ähnliche Weise in Washington randaliert, um den Machtwechsel zu Trumps Nachfolger Joe Biden zu vereiteln. Fünf Menschen starben, als die Menge damals ins US-Kapitol eindrang.
Ocasio-Cortez: Bolsonaro ausweisen
Die linksgerichtete US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez forderte als Konsequenz aus den Ereignissen in Brasilia die Ausweisung Bolsonaros. "Die USA müssen aufhören, Bolsonaro in Florida Zuflucht zu gewähren", schrieb sie am späten Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter. Auch der demokratische US-Kongressabgeordnete Joaquin Castro forderte in einem CNN-Interview Bolsonaros Ausweisung. "Er ist ein gefährlicher Mann", sagte Castro unter anderem.
US-Präsident Biden nannte die Vorfälle nach Angaben seiner Sprecherin "ungeheuerlich". "Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich", erklärte sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stärkte der neuen Regierung von Lula den Rücken. "Die EU verurteilt die antidemokratischen Akte der Gewalt, die am Sonntag, den 8. Jänner, im Herzen des Regierungsviertels von Brasília stattgefunden haben", teilte Borrell am Sonntagabend mit. "Die brasilianische Demokratie wird über Gewalt und Extremismus siegen", hieß es weiter.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sprach von einem "Angriff auf die Demokratie". "Was in Brasilien geschieht, kann uns nicht gleichgültig lassen. Der Angriff auf den Sitz der Institution ist inakzeptabel und mit jeder Form von demokratischem Dissens unvereinbar", schrieb die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni. "Demokratische Traditionen müssen von allen respektiert werden", betonte der indische Premier Narendra Modi auf Twitter. Auch lateinamerikanische Staats- und Regierungschefs stellten sich klar gegen die Bolsonaro-Anhänger. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verurteilte die Erstürmung in einem englischsprachigen Tweet "aufs Schärfste". Angriffe auf demokratische Institutionen seien "völlig inakzeptabel". Die Verursacher müssten zur Rechenschaft gezogen werden. (APA, dpa, Reuters)
Radikale Bolsonaro-Anhänger