Kultur Österreich

Neue Wiener "West Side Story" entführt ins New York der 50er

Der Broadway in Wien: Die neue "West Side Story" in der Stadthalle
© APA

Leonard Bernsteins "West Side Story" ist ein nicht kategorisierbarer Monolith zwischen Broadwayhit, Theaterstück und ambitionierter Partitur - eine Hitmaschine, die selbst vehemente Musicalfeinde schätzen. In der Wiener Stadthalle ist seit Dienstag eine Neuinszenierung des Klassikers aus 1957 zu erleben. Im traditionellen Gewand, aber mit frischem Gestus lockt die Tourneeproduktion nach der Weltpremiere in München nun bis Sonntag zu Gewalt, Herzschmerz und allem dazwischen.

Für die Regie zeichnet Broadwayveteran Lonny Price verantwortlich. Der 63-Jährige hat nicht nur als Schauspieler Erfahrungen gesammelt (etwa im Kultfilm "Dirty Dancing"), sondern kann auf jahrzehntelange Arbeit als Musicalregisseur zurückblicken. Er belässt die "West Side Story" im New York der 1950er, das mithilfe dreier hochbeweglicher Bühnenelemente entsteht, die sich flugs in Docs Drugstore, Marias Schlafzimmer oder das Brautmodengeschäft wandeln.

"Wir lassen das Stück nicht auf dem Mond spielen", hatte Price während der Vorbereitungen gegenüber der APA klargestellt, dass man sich bei einem Klassiker wie der "West Side Story" als Regisseur in puncto Aktualisierungen zurückzunehmen habe: "Ein Stück wie die 'West Side Story' braucht meine Hilfe nicht." Dabei stellt die Arbeit auch in ihrer klassischen Fassung unter Beweis, dass die Themen des Stücks bis heute - man ist geneigt zu sagen: leider - hochaktuell sind. Vorurteile gegenüber Zugewanderten, das Auseinanderklaffen zwischen Idealen der Gesellschaft und der Realität am Boden, Gewalt unter Abgehängten, das Verzweifeln der Jugend an den Umständen.

Verhandelt werden diese Themen bei der "West Side Story" allerdings nur zum Teil verbal oder in den Lyrics, sondern nicht zuletzt mit dem Körper. In nur wenigen Musiktheaterwerken kommt dem Tanz eine so zentrale Rolle zu, ist dieser doch Kommunikationsmittel zwischen den Proponenten. Die nun in Wien präsentierte Inszenierung ist dabei derzeit die einzige weltweit, die mit der Originalchoreografie des 1998 verstorbenen Jerome Robbins arbeitet, der einst mit Bernstein, Buchautor Arthur Laurents und Texter Stephen Sondheim jenes Quartett bildete, das den Meilenstein des Genres aus der Taufe hob.

Für deren originalgetreue Umsetzung zeichnet Choreograf Julio Monge verantwortlich, der als künstlerischer Berater zuletzt auch bei Steven Spielbergs Verfilmung "West Side Story" mit an Bord war. Die Arbeit zeigt zwar die typischen Bewegungselemente der 1950er mit von sich geworfenen Armen und Synchronaktionen. Und doch hat diese Umsetzung in ihrer kraftstrotzenden Expressivität nichts Nostalgisches, sondern spielt die ihr zugedachte zentrale Rolle im Vorantreiben der Handlung. Die klare Farbscheidung der rivalisierenden Gangs mittels Kostümen erweist sich dabei nicht zuletzt in den großen Gruppenchoreografien als Ankerpunkt.

Im Verhältnis reduzierter kommt da die musikalische Gestaltung daher. Unter Grant Sturiale spielt ein 20-köpfiges Orchester die Bernstein-Partitur beinahe kammermusikalisch, legt die Percussion wie die großen Streicherbögen schlank an, schafft einen nahbaren, gleichsam authentischen Klangrahmen anstelle eines Cinemascopeklanges. In dieses Klangbild fügt sich der vorwiegend junge Cast aus gut 30 Darstellerinnen und Darstellern nahtlos ein.

Diesen voran steht das letztlich unglücklich endende Liebespaar aus Maria und Tony, hier gesungen von Melanie Sierra und Jadon Webster, die im Sommer aus 3.000 Bewerbern in New York gecastet wurden. Während Webster seine Rolle eher gehaucht, stimmlich unterspielt interpretiert, bildet Sierra mit schärferem Timbre dazu den reizvollen Kontrast. Dabei sind beide nicht im von Bernstein immer wieder herangezogenen Opernstimmfach angesiedelt, sondern entstammen der klassischen Musicalschule.

Wenn dann am Ende die letzten Takte des "Somewhere"-Motives verklingen, endet ein Abend, der einen unsterblichen Bühnenklassiker im klassischen Format wieder aufleben lässt. Und der dabei doch überraschend frisch wirkt. Nach Wien macht die Inszenierung nun weiter Station in Deutschland und der Schweiz, bevor man am Ende des Jahres für zwei Monate im Pariser Theatre du Chatelet gastiert und schließlich nach Asien weiterzieht. Denn die "West Side Story" ist einfach universell.

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