Das Zeugnis naht, der Druck steigt: Plätze in Tiroler Gymnasien sind rar
Reichen die Noten fürs Gymnasium? Diese Frage setzt Tausende Tiroler Volksschüler – und ihre Eltern – unter Druck. Denn die Plätze sind rar.
Innsbruck – Endspurt. Am 10. Februar liegen die Halbjahreszeugnisse auf dem Tisch. Für viele Volksschüler in den Ballungszentren bedeutet das vor allem eines: Druck. Denn dieses Notenblatt ist wegweisend für ihren weiteren Bildungsweg. Gymnasium oder doch Mittelschule?
Das angestrebte Ziel (zumindest jenes vieler Eltern) ist der Platz in einer allgemeinbildenden höheren Schule (AHS). Mit Folgen für die Kinder. „Immer wieder werden Schüler mit körperlichen oder psychischen Beschwerden zu uns geschickt. Die Kinder sind den Anforderungen oft nicht gewachsen“, berichtet Brigitte Thöny, Schulpsychologin der Bildungsdirektion Tirol.
Lustlosigkeit, Schulverweigerung bis hin zu Bauch- oder Kopfschmerzen können Anzeichen für zu hohen Leistungsdruck sein. „Wichtig ist, sich rechtzeitig Hilfe zu holen und nicht abzuwarten, bis die Probleme nicht mehr verkraftbar sind“, appelliert Thöny.
Doch woher kommt der Trend, das Kind um jeden Preis – wortwörtlich – in das Gymnasium schicken zu wollen? „Intellektuelle Fähigkeiten werden in unserer Gesellschaft eben höher anerkannt“, erklärt der Bildungsexperte und Autor Andreas Salcher.
Und diese erhält man scheinbar nur im Gymnasium. Ein Versuch, die Mittelschule attraktiver zu machen, sei gescheitert. „Mittelschulen werden vor allem im städtischen, aber zunehmend auch im ländlichen Bereich von den Bildungsschichten abgelehnt“, sagt Salcher.
Es kommt zu einer stillen Trennung. „Die Mittelschulen in der Stadt sind eine Schule der Migranten, benachteiligten Familien und Bildungsfernen“, so der Bildungsexperte. Insbesondere für Kinder aus Akademikerfamilien scheint der Weg aufs Gym die einzig richtige Wahl.
Was folgt: ein Sturm auf die Gymnasien. In Tirol besuchten laut Statistik Austria im Schuljahr 2020/21 knapp 7000 Schüler die vierte Klasse Volksschule. Rund ein Viertel davon wurde auf eine der 18 AHS-Unterstufen geschickt. Die übrigen sind in einer der 105 Mittelschulen des Landes untergekommen.
Die beste Chance auf einen begehrten wie raren Gymnasiums-Platz haben Einser-Schüler. Mit jedem Zweier schwindet auch die Hoffnung auf einen freien Sessel. „Das ist geradezu absurd. Der Druck auf die Eltern und Schüler steigt klarerweise. Die Eltern geben diesen Druck oft an die Volksschullehrer weiter.“ Bestechungen für eine bessere Note sind keine Einzelfälle.
Dies bestätigt Markus Astner. Der Innsbrucker Gymnasial-Lehrer beschäftigt sich seit drei Jahren intensiv mit den „Baustellen“ im Bildungswesen und gründete die Initiative „Zukunft Schule Jetzt“. Der Kampf um den Gymnasiums-Platz sei jedes Jahr spürbar. „Volksschullehrer werden belagert, damit die Schüler die erforderlichen Noten für die Wunschschule bekommen“, sagt der Lehrer.
Viele Gymnasien erhalten doppelt so viele Anmeldungen, wie sie Plätze zur Verfügung haben, berichtet Astner. „Viele Kinder lernen in den Volksschulen nur noch für die guten Noten, erhalten Nachhilfe, werden gedrillt.“
Konkret fordert Astner eine gemeinsame Schule der drei- bis 15-Jährigen und eine Abschaffung der Noten in den Volksschulen. „Bevor wir das nicht erreicht haben, werden diese Baustellen nicht weniger werden.“