Lehrer sehen Künstliche Intelligenz an Schulen „gelassen"
Das Bildungsministerium ist gegen eine Abschottung vor der neuen KI-Software ChatGPT. Experte Kayali meint, eine gewisse Art der Aufgabenstellung sei tot. Fakt ist, KI ist an Schulen bereits angekommen.
Wien – Seit November gibt es mit ChatGPT eine Gratis-Software, die auf Basis von Künstlicher Intelligenz Aufsätze und Referate schreiben, Mathematik-Aufgaben lösen und Gedichte verfassen kann. Während die einen Experten davon einen massiven Umbruch des Bildungssystems erwarten, vergleichen andere die Auswirkungen nur mit der Einführung des Taschenrechners oder von Textverarbeitungsprogrammen. Der oberste Lehrervertreter Paul Kimberger (FCG) zeigt sich im APA-Gespräch „gelassen".
In mehreren Ländern diskutieren Unis und Schulbehörden über Verbote der Software oder haben ihre Nutzung bereits eingeschränkt. Wer etwa an der französischen Elite-Uni Sciences Po beim Nutzen von Künstlicher Intelligenz (KI) erwischt wird, muss mit Strafen bis hin zum Ausschluss von der Uni rechnen. Dabei dürften Verbote in der Praxis laut Experten sinnlos sein, weil klassische Plagiatssoftware bei den von CHatGPT aus Internet-Quellen neu zusammengesetzten Texten nicht anschlägt und die Software zur Erkennung von KI-generierten Texten zumindest derzeit noch nicht gut genug funktioniert.
Technologie zum Unterrichtsinhalt machen
Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) sieht Abschottungsversuche ohnehin skeptisch. Schummeln mit der KI müsse zwar „kategorisch unterbunden werden", das sei für das Bildungssystem aber grundsätzlich nichts Neues. Die Aufgabe von Schule sei aufzuklären und die Technologie zum Unterrichtsinhalt zu machen. Außerdem seien auch sinnvolle Einsatzszenarien etwa beim personalisierten Lernen vorstellbar.
Wenig Grund zur Aufregung sieht auch Lehrervertreter Kimberger. Lehrerinnen und Lehrer müssten den Unterricht ohnehin ständig an neue gesellschaftliche Phänomene anpassen, genau das sei auch bei ChatGPT der Fall. Dass der Chatbot, der maßgeschneidert Texte verfassen und Aufgaben lösen kann, das Leben von Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonal grundlegend ändern wird, erwartet Kimberger nicht. Die Möglichkeit, mit ChatGPT fremde Leistungen als die eigenen zu verkaufen, sei nichts Neues. „In meiner eigenen Schulzeit hat es Schummelzettel gegeben, jetzt gibt es halt andere Dinge."
Chance von Standardisierung des Schulwissens wegzukommen
Bei schriftlichen Aufgabenstellungen müsse man möglicherweise künftig die Inhalte stärker so abprüfen, dass Künstliche Intelligenz die Aufgabe nicht übernehmen könne, etwa indem man auf vernetztes Denken setzt. „Das wird spannend werden." ChatGPT sei hier vielleicht sogar eine Chance wegzukommen von der zunehmenden Standardisierung des Schulwissens.
Man werde das Programm im Unterricht thematisieren und dort, wo es sinnvoll sei, könne man es auch einsetzen, um Schülern wie Lehrern das Leben zu erleichtern. „Aber all diese Dinge haben auch ihre Grenzen", so Kimbergers Einschätzung nach Gesprächen mit Experten. Sobald es um das Individuum gehe, wird die KI wohl noch sehr lange an ihre Grenzen stoßen.
Auch Fares Kayali, Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich an der Uni Wien, erwartet von ChatGPT keinen Umbruch im Bildungssystem. In der aktuellen Debatte werde viel in das Programm hineinprojiziert und teilweise bei den erwarteten Auswirkungen übertrieben. Klar sei aber, dass ein derart präsentes Thema im Unterricht behandelt werden muss.
Die Sorge, dass Schüler bei schriftlichen Aufgaben künftig vermehrt auf ChatGPT zurückgreifen könnten, ist für Kayali „sehr berechtigt". Schon die aktuelle Beta-Version liefere Ergebnisse mit akzeptabler Qualität, KI-Detektor-Software schlage nicht immer an. „Das ist im Moment sicher ein Problem", sagt er im Gespräch mit der APA. Freilich konnten Schüler schon bisher Texte aus dem Internet als ihre eigenen ausgeben, ohne dass dies von Plagiatssoftware aufgedeckt werden konnte. Beliebte Quellen waren hier etwa automatische Transkripte von thematisch passenden Youtube-Videos.
Gleichzeitig hat ChatGPT für Kayali das Potenzial, einiges am „sehr konservativen" österreichischen Schulsystem in Frage zu stellen. Wenn Künstliche Intelligenz bestimmte Aufgaben übernehmen kann, sollte man diskutieren, was an die Technik ausgelagert werden kann, was Kindern und Jugendlichen in den Schulen eigentlich vermittelt und was in der Schule bei Leistungsfeststellungen überprüft werden soll, so Kayali. „Wir sollten akzeptieren, dass eine gewisse Art der Aufgabenstellung tot ist." Ohnehin liege derzeit der Fokus in der Schule immer noch viel zu stark auf dem Reproduzieren von Wissen. Auch Bildungswissenschafter Stefan Hopmann (Uni Wien) hat zuletzt von einer „ungeheuren Chance" gesprochen, das Einsammeln von Wissen an solche Programme auszulagern und in der Schule in den Mittelpunkt zu stellen, „sich möglichst umfassend, vielseitig und kritisch mit den Sachen auseinanderzusetzen".
Auch Bundesschulsprecherin Flora Schmudermayer sieht in ChatGPT eine Möglichkeit, das Lehrer-Schüler-Verhältnis positiv zu verändern. „Das macht ganz neue Welten auf, wie Unterricht funktionieren kann, und setzt vielleicht auch neue Fokuspunkte." Eine spannende Frage sei etwa, wie schriftliche Aufgaben – Texte oder auch Mathematik – so angepasst werden können, dass Schüler auch bei Nutzung von ChatGPT weiter eine eigenständige Leistung nachweisen – wenn auch eine andere als bisher. Gleichzeitig müssten Risiken wie der Umgang mit Fakenews angesichts des neuen Tools in der Schule noch stärker thematisiert werden als bisher.
Bei den Schülern sei Chat GPT jedenfalls bereits angekommen und werde auch genutzt, berichtet Schmudermayer. An die Lehrer appelliert sie, vor allem keine Angst vor neuen Technologien zu haben. „Die Schule sollte sich anpassen an unsere Generation und an den Stand der Technik." So manche Lehrer hätten das bei ChatGPT auch schon getan und behandeln das Programm im Unterricht.
Auch für Experte Kayali wäre beim Einsatz von ChatGPT das Wichtigste, die Schülerinnen und Schüler an Bord zu holen und die Software aktiv in der Lehre zu nutzen. Das Verfassen von Texten werde weiterhin eine wichtige Kompetenz bleiben. Für ihn sei es aber sehr realistisch, dass man in Zukunft bestimmte Teile wie Ein- oder Überleitungen von ChatGPT produzieren lässt. „Warum soll man, wenn so ein mächtiges Tool vorhanden ist, nicht gleich lernen, wie man es gescheit verwendet?" Bei schriftlichen Aufgaben plädiert Kayali anstelle von Verboten von KI, die ohnehin nicht umsetzbar wären, für das Aufgeben zusätzlicher Fragestellungen, die nicht mit Künstlicher Intelligenz lösbar sind.
Medienkompetenz der Schüler weiter tranieren
Chat GPT ist für den Experten auch ein weiterer Anlass dafür, mit den Schülern Medienkompetenz zu trainieren – immerhin ist das Programm doch trotz der beeindruckenden Ergebnisse fehleranfällig. Grundlage der KI sind Daten bis 2021, bei Nischenthemen liefert sie teilweise falsche Informationen, mangels Quellen ist die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse schwer einschätzbar, auch Lücken bei Datenschutz und Datensicherheit werden von Experten bemängelt. Es sei essenziell, dass die Schüler darüber aufgeklärt werden, was etwa ein Algorithmic Bias ist, wie sich Fehlinformationen verbreiten und wer ein Interesse daran hat.
Problematisch könnte es laut Kayali werden, wenn die Beschäftigung mit ChatGPT an den Schulen ausschließlich in das Fach „Digitale Grundbildung" ausgelagert würde, weil sich Lehrer anderer Fächer nicht damit auseinandersetzen wollen. „Diese Gefahr sehe ich sehr deutlich." Ein Ein-Stunden-Fach könne aber die Beschäftigung mit diesem Thema schlicht nicht alleine leisten. (APA)
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