Aktuell teils Warnstufe 4 in Tirol: Wie Lawinen entstehen und wie man die Gefahr erkennt
Sobald sich Wintersportler in den freien Skiraum begeben, sollten sie nicht nur die aktuelle Lawinenwarnstufe kennen, sondern gefährdete Schneegebiete und den Aufbau der Schneeschichten einschätzen können. Was es zu beachten gilt.
Innsbruck – Die ergiebigen Neuschneefälle vom Freitag und Temperaturschwankungen sorgen derzeit wieder für hohe Lawinengefahr in Tirol. Teilweise herrscht Warnstufe 4. Um das Risiko einer Verschüttung zu verhindern, sollte man sich derzeit vielerorts nicht abseits der gesicherten Pisten aufhalten. Zudem ist es für Tourengeher wichtig, dass man weiß, wie Lawinen entstehen und in welchen Bereichen erhöhte Gefahr eines Abgangs besteht.
🌨️ Wie eine Lawine entsteht
Je unterschiedlicher die Konsistenz zweier aufeinandertreffender Schneelagen – also Altschnee und Neuschnee – sind, umso höher ist die Gefahr, dass die Bindung „reißen" kann und sich so eine Schneebrettlawine löst. Für die Entstehung der einzelnen Schichten der Schneedecke sind die Setzung der Schneekörner durch Druck und Schwerkraft ausschlaggebend. Hier spielen aber auch die Menge des frischen Schnees, die Außentemperaturen und Wind mit hinein.
Rund 90 Prozent der Lawinenunglücke im skitouristischen Bereich machen derartige Festschneelawinen aus. Besonders Gefahren bringende Schneearten sind der windbeeinflusste Packschnee, sehr wasserhaltiger Pappschnee, Schwimmschnee, der im Bodenbereich wie ein Kugellager wirkt, Eislamellen als eingeschneite Gleitschicht oder etwa Oberflächenreif, der mit Packschnee abgedeckt als höchst gefährliche Zwischenschicht gilt.
🏔️ Generelle Hinweise auf Lawinengebiete
Bevor man sich ins freie Gelände wagt, sollte man das Wetter genau beobachten. Gab es starken Schneefall mit einer längeren darauf folgenden Kälteperiode und niedrigen Temperaturen, dann steigt die Lawinengefahr an. Als „Baumeister" von Lawinen gilt auch der Wind, denn er lässt Schneebretter entstehen.
Faustregel für die Lawinengefahr
Bei Plusgraden ist es einen Tag nach starkem Wind besonders gefährlich, bei Minusgraden drei Tage danach.
Durch den Wind werden die Schneekristalle zerkleinert, verhaken sich untereinander und lagern sich sehr dicht aneinander ab. Schnee wird dadurch sehr fest und massiv. Es bilden sich schwere Schneebretter, die eine Länge von Hunderten Metern aufweisen können und sich oft im Windschatten von Hangkanten oder Rinnen befinden. Für Wintersportler sind diese Zonen im Gebirge die gefährlichsten.
Um eine Lawine auszulösen, müssen diese Schneebretter aber erst einmal abbrechen. Dafür ist eine gewisse Hanglage ausschlaggebend. Bereits ab einer Neigung von 25 Grad besteht eine potentielle Gefahr von Lawinenabgängen. Ab einer Hangneigung von 30 Grad steigt sie stark an. Sehr steile Hänge, die 40 Grad und mehr aufweisen, sind besonders anfällig für abrutschende Schneebretter.
Die häufigsten Lawinenarten
Schneebrettlawinen: Sie ist die häufigste Lawinenarten . Man erkennt sie an einem linienförmigen Anriss quer zum Hang. Die abbrechende Schneedecke rutscht zusammenhängend und schnell auf einer Gleitschicht (auf einer Altschneedecke oder einer Eisschicht) ab. Durch die Bewegung beginnt die Schneedecke in kleinere Teile zu zerbrechen und kann sich sogar zu einer Staublawine entwickeln. Schneebrettlawinen sind enorm gefährlich, weil sie mögliche Opfer mitreißen und unter ihrer tonnenschweren Schneemasse ersticken und erdrücken können. Vor allem an Hängen mit einer Neigung zwischen 30 und 50 Grad tritt diese Art der Lawine auf.
Lockerschneelawine: Damit diese Lawinenart ausgelöst wird, muss ein Schneeteil durch äußere Umstände (z. B. durch einen Wintersportler) in Bewegung gebracht werden. Beim Abrutschen kommt es zu einer Kettenreaktion und die Lawine wird immer größer, weil sie weiteren Schnee mitreißt. Die Gefahr für Lockerschneelawinen ist besonders in unverfestigtem Neuschnee und bei gleichtzeitigem Tauwetter oder Sonnenschein groß. Da feuchter Neuschnee wesentlich schwerer ist als Pulverschnee, ist die Art der Lawinen sehr gefährlich.
Staublawine: Wenn eine enorme Schneemasse einen steilen Hang hinunterrutscht und währenddessen immer mehr Schnee aufnimmt, spricht man von einer Staublawine. Der Schnee wird von der Luft aufgewirbelt und es entstehen kraftvolle Luftdruckschwankungen. Hinter einer solchen Lawine kann ein gewaltiger Sog entstehen. Das Schnee-Luft-Gemisch kann schon nach kurzer Zeit zum Erstickungstod führen. Eine Staublawine erreicht Geschwindigkeiten von 50 bis 100 Metern pro Sekunde.
⛔ Warum ist Triebschnee so gefährlich?
Laut Alpenverein ist Triebschnee einer der gefährlichsten Schneearten für Lawinenabgänge. Er entsteht, wenn der Wind den Schnee von der windzugewandten Seite (Luv) in die windabgewandte Seite (Lee) transportiert, wo er als Triebschnee zu liegen kommt. Vor allem in Kammnähe (auf der Leeseite) und hinter Geländeübergängen ist mit Triebschnee zu rechen. Zu beachten ist, dass Rinnen und Mulden in allen Expositionen mit Triebschnee gefüllt sein können. Da in den Bergen fast immer mit Wind zu rechnen ist, entstehen die größten Triebschneeansammlungen während oder kurz nach einer Schneefallperiode.
⏳ Wie lange ist Triebschnee gefährlich?
Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Während sich nämlich Triebschnee mit lockerem Pulverschnee in wenigen Stunden bis wenigen Tagen verbinden kann, kann es Monate dauern, bis Triebschnee sich mit Schwimmschnee, kantigen Kristallen oder Oberflächenreif bindet. In diesem Fall entwickelt sich aus einem anfänglichem Triebschneeproblem nach wenigen Tagen ein Altschneeproblem. Gefährlich ist außerdem, dass frischer Triebschnee durch lockeren, harmlos aussehenden Pulverschnee verdeckt wurde.
❄️ Woran erkennt man Triebschnee?
Besonders charakteristisch für Triebschnee sind laut Alpenverein eine matte (kein Glitzern der Schneekristalle) und „gespannte" Oberflächenstruktur sowie die scharfen Kanten, die beim Spuren entstehen. Risse in der Schneedecke, oft neben der Spur, sowie ein stumpfer Widerstand beim Spuren oder Befahren sind ebenfalls ein Indiz für Triebschnee.
Es empfiehlt sich, immer wieder einmal aus der vorhandenen Spur zu gehen und selbst ein Stück zu spuren, um einen besseren Eindruck von den Verhältnissen zu bekommen. Je frischer der Triebschnee ist und je mehr sich davon im Hang befindet, desto gefährlicher ist er.
🎿 Wie man Lawinenunfälle vermeidet
Trotz Sicherheitsmaßnahmen, Ausschilderungen und Warnungen sterben nach wie vor die meisten Opfer durch Leichtsinn. Auch ein nach eigener Einschätzung noch so friedlicher Hang kann sich in Sekundenschnelle als tödliche Falle herausstellen. Ist man allein unterwegs, sinkt die Überlebenschance auf Null. Ohne Augenzeugen des Unglücks ist die rechtzeitige Bergung Verschütteter meist unmöglich. Dabei wären rund 90 Prozent der Lawinenunfälle bei Skifahrern vermeidbar – wenn die elementarsten Grundregeln befolgt würden.
Durch die großen Zug- und Drehkräfte, die entstehen, da sich Schneemassen an der Oberfläche schneller bewegen als darunter liegende, sterben etwa 20 Prozent aller Verschütteten bereits bis zum Stillstand der Lawine. Nach 30 Minuten leben nur noch rund 30 Prozent, wovon nach weiteren eineinhalb Stunden der Großteil seinen Verletzungen erliegt, erstickt oder erfriert. Mehr als zwei Stunden nach dem Abgang einer Lawine werden laut Experten durchschnittlich nur mehr drei Prozent der Verschütteten lebend geborgen.
Hintergrund zu Lawinenunfällen
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Aufruf zum Verzicht
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Um das Risiko, selbst von einer Lawine verschüttet zu werden, so gut wie möglich zu minimieren, sollte man folgende Punkte beherzigen:
✅ Lawinensituation checken: Bevor man sich in ein ungesichertes Gebiet begibt, sollte man grundsätzlich den aktuellen Lawinen- und Wetterstand im Internet überprüfen. Sind die Verhältnisse nicht ideal und es besteht eine erhöhte Lawinengefahr? Dann sollte man seinen Ausflug verschieben oder ein anderes Gebiet auswählen.
✅ Auf die Intuition vertrauen: Auch vor Ort sollte man nochmals überprüfen, ob der Wetterbericht mit der tatsächlichen Wetterlage übereinstimmt. Wenn man kein gutes Gefühl hat, sollte man lieber auf eine Tour verzichten.
✅ Nicht alleine unterwegs sein: Fahrten im freien Skiraum sollten nie alleine sondern immer mit Begleitung durchgeführt werden. Steile Hänge fährt man beim Freeriden am besten einzeln und hintereinander (mit etwas Abstand) ab. Vor der Abfahrt sollte man sich vergewissern, was sich oberhalb und unterhalb von einem selbst befindet und ob es mögliche Gefahrenquellen gibt.
⚠️ Besondere Vorsicht ist geboten:
◼️ Wenn sich die Sicht plötzlich stark verschlechtert, denn das weist auf eine Temperaturänderung hin, die die Gefahr für Lawinen erhöht.
◼️ Wenn sich in der Umgebung einzelne Schneebretter lösen.
◼️ Wenn es plötzlich zu schneien beginnt und der Wind auffrischt.
◼️ Wenn es zu regnen beginnt, denn die Feuchtigkeit zerstört die Bindung der Schneekristalle.
◼️ Wenn sich beim Betreten der Schneedecke Risse bilden.
◼️ Wenn man Geräusche hört, die einem Donnern ähneln. Dabei handelt es sich um so genannte Setzungsgeräusche, die auf einen Kollaps einzelner Schneeschichten hinweisen können.
✅ Zusatzbelastung vermeiden: Um keine Lawine auszulösen, sollte man große Zusatzbelastungen vermeiden. Bewegen sich mehrere Skifahrer, Snowboarder oder Schneeschuhgeher gleichzeitig auf engem Raum, bedeutet das eine Zusatzbelastung. Ein einzelner Winterwanderer kann oft eine größere Belastung auf die Schneedecke auswirken als ein Skitourengeher im Aufstieg.
✅ Abstand einhalten: Im Aufstieg sollte zum nächsten Gruppenmitglied ein Abstand von rund zehn Metern eingehalten werden. Bei der Abfahrt gilt sogar ein Mindestabstand von 30 Metern. Noch sicherer ist es, die Hänge einzeln zu befahren. Zusammenwarten sollten Gruppen grundsätzlich nur an Punkten, die lawinen- und absturzsicher sind. Während des Wartens sollte man seine Skier oder Boards nicht abschnallen, denn zu Fuß ist die Auflage geringer und der Druck auf die Schneedecke wird größer. Das kann besonders schnell eine Lawine auslösen. (TT.com/rena, APA)
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