Finnische Regierungschefin: NATO-Beitritt mit Schweden
Die finnische Regierungschefin Sanna Marin hält trotz türkischer Vorbehalte am Ziel eines gemeinsamen NATO-Beitritts ihres Landes mit Schweden fest. "Es ist im Interesse Finnlands und Schwedens und auch der NATO, dass Finnland und Schweden gemeinsam beitreten. Natürlich haben wir keinen Einfluss auf den Ratifizierungsprozess in der Türkei oder in Ungarn", sagte Marin am Freitag bei ihrem Besuch bei Bundeskanzler Karl Nehammer in Wien.
"Wir haben sehr klar mitgeteilt, dass wir gemeinsam der NATO beitreten wollen", so Marin. Marin betonte in Hinblick auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die Neutralität sei für Finnland "nicht mehr angemessen".
Nehammer und Marin tauschten sich über den Krieg in der Ukraine sowie über aktuelle Fragen in der EU aus. Die finnische Regierungschefin betonte die Notwendigkeit weiterer Unterstützung für die Ukraine. "Wenn (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) Putin den Krieg gewinnt, ist niemand mehr in Sicherheit, weder in Europa noch auf der Welt." Finnland sei einer der größten Unterstützer für Kiew, sowohl militärisch als auch beim Wiederaufbau, sagte Marin. Russland sei für zahlreiche Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich und müsse dafür auch bestraft werden.
Angesprochen auf die österreichische Neutralität betonte die finnische Regierungschefin, eine Entscheidung darüber liege an jedem Land selbst. "Wir wollen nicht sagen, was Österreich tun sollte. Das ist in den Händen Österreichs." Österreich habe immer gut kooperiert, wenn es um die Solidarität mit der Ukraine gehe. Marin bezog sich dabei etwa auf die EU-Sanktionsbeschlüsse gegen Russland. Sie vertraue darauf, dass diese gute Zusammenarbeit auch in Zukunft fortgesetzt werde.
"Es gibt in der Europäischen Union überhaupt keinen Druck auf neutrale Staaten, ihren Status zu verändern", auch nicht von anderen Regierungschefs, sagte Nehammer. Unter den EU-Regierungschefs werde vielmehr sehr klar und offen diskutiert. Die Vielfalt stehe nicht einer Einigkeit in der Europäischen Union entgegen.
Marin und Nehammer lehnten beide neue EU-Fonds und eine neue gemeinsame Verschuldung in der EU ab. Finnland wolle zwar, dass die Europäische Union wettbewerbsfähig bleibe, etwa bei grünen Technologien und Digitalisierung, sagte Marin. Finnland sehe aber keinen Bedarf an neuen Fonds oder Instrumenten, welche die EU-Kommission im Sommer vorschlagen könnte. "Wir haben die Geldtöpfe schon." Mehrere hunderte Milliarden Euro seien noch nicht abgerufen worden.
Dem schloss sich Nehammer inhaltlich voll an. Der Kanzler verwies auf den EU-Aufbaufonds in Höhe von 800 Milliarden Euro, davon seien 140 Milliarden Euro abgerufen. "Das heißt, es gibt genug Geld auch von Seiten der (EU-)Kommission, um Maßnahmen neu zu setzen." Es brauche dazu auch "keine neuen Schulden". Auch wenn die EU gemeinsam Schulden aufnehme, müssten diese auch gemeinsam zurückgezahlt werden. Rechne man die Maßnahmen der EU und der Nationalstaaten zusammen falle die Unterstützung stärker aus als in den USA mit ihrem Paket gegen die Inflation. "Eine neue Vergemeinschaftung von Schulden ist deshalb nicht notwendig, weil schon ausreichend Schulden gemacht worden sind."
Marin wurde von Nehammer mit militärischen Ehren in Wien empfangen. Im Rahmen ihres offiziellen Besuchs in Österreich traf die finnische Ministerpräsidentin, die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Finnlands ist, Freitagnachmittag auch mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zusammen. Im Zentrum ihres Austauschs standen der Ukraine-Krieg und seine Folgen sowie die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Europäischen Union.
Gerade in einer Zeit multipler Krisen auf unserem Kontinent sei enge Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten umso wichtiger, sagte Rendi-Wagner im Anschluss an das Gespräch. Eine der wichtigsten Lehren, die Europa gemeinsam aus dem Ukraine-Krieg ziehen müsse, sei die Notwendigkeit europäischer Unabhängigkeit in Energiefragen, so die SPÖ-Chefin weiter.
Finnland und Schweden haben sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gemeinsam dazu entschlossen, ihre Bündnisfreiheit zugunsten eines NATO-Beitritts aufzugeben. Dieser wird aber derzeit von der Türkei blockiert.
Finnland und Österreich gehören in der EU zur Gruppe der selbst ernannten "Sparsamen", die zusammen mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark im EU-Budget den Rotstift ansetzten. Marins Besuch reiht sich ein in eine Serie mehrerer Visiten von europäischen Regierungschefs, die Nehammer zuletzt empfangen hat, darunter den spanischen Premier Pedro Sánchez und den belgischen Ministerpräsident Alexander De Croo.