Klimaklage gegen die Republik: Wenn Klimaschützer die Höchstgerichte bemühen
„Uns reicht’s“: Eine Anwältin zieht für zwölf Jugendliche vor den Verfassungsgerichtshof. Sie fordern ein wirksames Klimaschutzgesetz.
Wien – „Es kommt gar nicht nur auf den juristischen Erfolg an“, sagt die Umweltrechtlerin Judith Fitz von der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) zur TT. Sie schreibt ihre Dissertation zum Thema Klimaklagen und vergleicht internationale Vorbilder. „Allein, dass wir jetzt darüber reden, zeigt, dass die neue Klage einen Effekt hat.“
Die aktuellste Klimaklage wurde gestern präsentiert. Anwältin Michaela Krömer zieht im Namen von zwölf Kindern und Jugendlichen vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Sie argumentiert, dass die Klägerinnen und Kläger in ihren per Verfassungsrecht garantierten Kinderrechten verletzt würden. Sie vermutet außerdem einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. „Uns reicht’s. Wir möchten nicht länger dabei zusehen, wie die Politik unsere Zukunft verbaut“, bringt die 14-jährige Smilla die Kritik auf den Punkt.
📽️ Video | Klima-Kläger im Gespräch
Krömer hofft auf eine Entscheidung des VfGH im Sommer oder Frühherbst. Die erste Hürde wird aber sein, ob die Richter die Klimaklage überhaupt zulassen. Vor drei Jahren hatte es die Rechtsanwältin schon einmal versucht, damals gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Mehr als 8000 Personen unterstützten eine Klage gegen Steuervorteile für den Flugverkehr. Die Antwort des VfGH fiel abschlägig aus – nicht in der Sache, sondern mangels Zulässigkeit.
Verfassungsrechtler hegt Zweifel
Die Berufung auf die Kinderrechte soll nun den Weg zu einem inhaltlichen Erkenntnis der Höchstrichter ebnen. Experten bleiben skeptisch wegen der Zulässigkeit. „Natürlich sind die Kriterien des VfGH sehr hoch“, sagt Fitz. Auch der Verfassungsrechtler Heinz Mayer meldet im Gespräch mit der TT Zweifel an.
Sollte es zu einer inhaltlichen Entscheidung kommen, könnte der Hinweis auf die Grundrechte aber erfolgreich sein. Mayer: „Es gibt Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die sagt, dass der Staat schädliche Einflüsse unterbinden muss.“
Unterstützt wird die Klage von der Protestbewegung „Fridays For Future“. Die Aktivisten wissen, wie professionelle Öffentlichkeitsarbeit funktioniert: eine Vorabinformation an ausgewählte Medien, eine Pressekonferenz live und online, professionelle Pressefotos, knackige Statements der Jugendlichen.
Klimaschutzgesetz scheitert weiter an Einigkeit in Koalition
Der wichtigste Kritikpunkt ist das Klimaschutzgesetz – oder das Fehlen desselben. Denn der Zeitraum des geltenden Gesetzes ist abgelaufen. Und ein neues scheitert bisher mangels Einigkeit in der türkis-grünen Koalition. Bei der ÖVP heißt es von Bundeskanzler Karl Nehammer abwärts, Klimaschutz sei ohnehin in anderen Gesetzen geregelt.
Das wollen die Kläger so nicht gelten lassen. Kinder hätten ein Recht auf Schutz vor den Folgen des Klimawandels, sagt Anwältin Krömer. Sonst werde die „Klimakrise zur Kinderkrise“.
Mit der Anrufung des VfGH folgt die Anwältin einem internationalen Trend. Im Mai 2021 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht Teile des dortigen Klimaschutzgesetzes aufgehoben, weiß Fitz. In den Niederlanden erreichten Kläger, dass die Ziele zur Verringerung der klimaschädlichen Treibhausgase reduziert wurden. Eine Klimaklage in der Schweiz hingegen sei vorerst gescheitert. Zumindest juristisch: Denn aktiv sind die „KlimaSeniorinnen“ nach wie vor. Sie haben auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angerufen.
Auf eine Entscheidung des EGMR wartet auch Krömer. Sie vertritt dort einen an Multipler Sklerose erkrankten Niederösterreicher, der besonders unter hohen Temperaturen – und damit dem Klimawandel – leidet. (sabl)