Rede zur Lage der Nation

Putin gibt Westen Schuld am Krieg – und stoppt Vertrag zur atomaren Abrüstung

Russlands Präsident Wladimir Putin rechtfertigte seinen Einmarsch in der Ukraine.
© MIKHAIL METZEL

Ein Jahr nach dem Einmarsch in die Ukraine behauptet Russlands Präsident, dass sein Land lediglich versuche, die Kämpfe zu beenden. Zudem kündigte er in seiner Rede zur Lage der Nation die Aussetzung des letzten großen atomaren Abrüstungsvertrages an. Selenskyj-Berater Podoljak ortet einen "völligen Realitätsverlust" bei Putin.

Moskau/Kiew – Knapp ein Jahr nach Beginn der russischen Offensive in der Ukraine hat Wladimir Putin dem Westen vorgeworfen, Russland "ein für alle Mal erledigen" zu wollen. In seiner Rede zur Lage der Nation kündigte er zudem die Aussetzung des letzten großen atomaren Abrüstungsvertrages mit den USA an. Es handle sich nicht um einen Ausstieg, sondern um eine Aussetzung des "New Start"-Vertrags, so Putin am Dienstag in Moskau. Wenn die USA Atomtests vornähmen, werde Russland das auch tun.

Die westlichen Eliten halten ihr Ziel nicht verborgen: Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, das heißt, uns ein für alle Mal zu erledigen.
Wladimir Putin, russischer Präsident

Putin warf den USA ein "Theater des Absurden" vor – mit Blick darauf, dass Washington unlängst Moskau beschuldigt hatte, keine Experten zur Inspektion der atomaren Verteidigungsanlagen ins Land zu lassen. Wenn in Zeiten solcher Spannungen jemand im Westen ernsthaft erwarte, dass Russland diesen Zugang gewähre, sei das "Blödsinn", meinte Putin. Zugleich bekräftigte er, dass Russland den US-Experten den Zugang nicht gewähre, weil auch russische Inspektoren angesichts westlicher Sanktionen keine Möglichkeit zur Einreise in die USA hätten.

Die Aussetzung von "New Start" begründete Putin vor allem damit, dass etwa Frankreich und Großbritannien ihre Atomwaffenarsenale weiter entwickelten und die Nuklearpotenziale gegen Russland ausrichten würden. Putin wertete auch Äußerungen der NATO zu "New Start" als Einmischung und Grund, den Vertrag zu überdenken.

📍 Stichwort: Abrüstungsvertrag "New Start"

Der "New Start"-Vertrag wurde 2010 in Prag unterzeichnet, trat 2011 in Kraft und wurde 2021 unmittelbar nach Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden um weitere fünf Jahre verlängert. Er begrenzt die Zahl der strategischen Atomsprengköpfe, die die USA und Russland stationieren können, sowie die Stationierung von land- und unterseegestützten Raketen und Bombern, um sie zu transportieren.

Experten zufolge verfügt Russland mit fast 6000 Sprengköpfen über das größte Atomwaffenarsenal der Welt. Zusammen besitzen Russland und die USA rund 90 Prozent der weltweiten Atomsprengköpfe.

"Die westlichen Eliten halten ihr Ziel nicht verborgen: Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, das heißt, uns ein für alle Mal zu erledigen", sagte der russische Präsident in seiner Rede. Russland werde aber seine Offensive "sorgfältig und systematisch" fortsetzen, sagte Putin. Die Ziele des Militäreinsatzes werde man so "Schritt für Schritt" erreichen.

Putin: Westen "voll" verantwortlich für Eskalation in Ukraine

Für die Eskalation des Ukraine-Konflikts machte Putin den Westen "voll" verantwortlich. Der russische Präsident hob hervor: "Die Verantwortung für das Schüren des Ukraine-Konflikts, für seine Eskalation, für die vielen Opfer (...) liegt voll bei den westlichen Eliten." Dabei wiederholte er auch seinen Vorwurf, dass der Westen in der Ukraine neo-nazistische Kräfte unterstütze, um dort einen anti-russischen Staat zu etablieren.

💬 Selenskyj-Berater: Putin "in einer völlig anderen Realität"

Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Einschätzung von Mychailo Podoljak, des Beraters des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, den Bezug zur Realität verloren.

"Er befindet sich in einer völlig anderen Realität, in der es keine Gelegenheit gibt, einen Dialog über Gerechtigkeit und Völkerrecht zu führen", sagt Podoljak der Nachrichtenagentur Reuters. Russland stecke in einer Sackgasse, und alles was es unternehme, verschlechtere seine Lage.

Russland habe sich bemüht, das Problem im Donbass friedlich zu lösen. Aber der Westen habe ein anderes Szenario vorbereitet, so Putin. "Sie haben den Krieg begonnen. Wir haben alles getan, um ihn zu stoppen." Schon vor Beginn des von Putin so bezeichneten militärischen Sondereinsatzes in der Ukraine habe die Regierung in Kiew mit dem Westen über Waffenlieferungen gesprochen.

📽️ Video | Analyse zur Putin-Rede

Putin kündigte zudem eine Modernisierung der russischen Armee an. "Der Ausstattungsgrad der nuklearen Abschreckungskräfte Russlands mit neuesten Systemen beträgt jetzt 91,3 Prozent", sagte Putin in seiner am Dienstag im russischen Staatsfernsehen übertragenen Rede zur Lage der Nation. "Nun – unter Berücksichtigung unserer gesammelten Erfahrungen – müssen wir ein solch hohes Qualitätsniveau in allen Teilen der Streitkräfte erreichen", fügte er hinzu.

Putin will "historische Gerechtigkeit"

Russlands Truppen in der Ukraine kämpfen laut Putin für die Zukunft und für die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit. "Wir werden alles dafür tun, damit der Frieden wieder in unser Land einkehrt", sagte der russische Präsident. Es sei die Pflicht des Staates, die Familien zu unterstützen, die Angehörige im Krieg verloren hätten. Den Familien gefallener Soldaten und Kriegsveteranen versprach Putin finanzielle Unterstützung und kündigte zu diesem Zweck einen staatlichen Sonderfonds an. In den neuen Gebieten werde es mehr soziale Hilfsprogramme geben, sagte er mit Blick auf die annektierten vier ukrainischen Regionen.

📽️ Video | Russland-Ukraine-Konflikt: Historische Hintergründe

Der Westen versuche, einen lokalen Konflikt in einen globalen zu verwandeln, sagte Putin weiters. Zugleich versicherte er: "Es ist unmöglich, unser Land auf dem Schlachtfeld zu besiegen." Er zeigt sich zudem überzeugt, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung das Vorgehen der Regierung bei der Verteidigung des Donbass unterstütze. Zugleich warnte er vor dem Hintergrund der Unterdrückung jeglicher Kritik am Ukraine-Einsatz und am Kreml in Russland, dass "Verräter" zur Rechenschaft gezogen würden.

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Mit Blick auf die internationalen Sanktionen gegen Russland äußerte Putin die Ansicht, dass der Westen "nichts erreicht hat und nichts erreichen wird". Die russische Wirtschaft hat bisher besser Stand gehalten als von vielen Experten erwartet. "Wir haben die Stabilität der wirtschaftlichen Situation sichergestellt", sagte Putin. Dem Westen sei es nicht gelungen, "unsere Gesellschaft zu destabilisieren".

Putin: Wirtschaftliche Loslösung vom Westen überfällig

Der Strukturwandel in der russischen Wirtschaft infolge des Krieges sei längst überfällig, so Putin. Er begrüßte, das Ende der Abhängigkeit russischer Unternehmen vom Westen. Eine solche Abhängigkeit sei gefährlich, sagt er in seiner Rede zur Lage der Nation. Die Firmen sollten mehr zu Hause in Russland investieren. Kein einfacher Russe bedauere es, dass die Zeiten, in denen reiche Russen Jachten und Paläste im Westen als sichere Häfen gekauft hätten, vorbei seien, fügt Putin hinzu.

Der Westen hat seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wegen des Ukraine-Kriegs weitgehend gekappt und umfangreiche Sanktionen verhängt. Russland hat im Zuge dessen angekündigt, seine Wirtschaft unter anderem stärker nach Asien auszurichten.

Erste Rede zur Lage der Nation seit zwei Jahren

An diesem Freitag, dem 24. Februar, wird es ein Jahr her sein, dass Russland offiziell den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Putins Auftritt war seine bisher 18. Rede zur Lage der Nation. Die vorherige ist bereits knapp zwei Jahre her und fand im April 2021 statt. Im vergangenen Jahr gab es keine; der Kremlchef hatte dies mit einer sehr hohen "Dynamik der Ereignisse" erklärt. (APA/dpa/AFP/Reuters)

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