Inge Morath zum Hundertsten: Begegnungen in Schwarz und Weiß
Das Rupertinum in Salzburg und das Kunstfoyer in München widmen der 2002 verstorbenen Fotografin aktuell zwei ganz unterschiedliche Ausstellungen. Weitere werden folgen.
Salzburg, München – Fotografin wollte sie lange Zeit eigentlich keine sein. Nach dem Krieg arbeitete sie als Journalistin – mit besonderem Gespür für Fotografie. Als Inge Morath Anfang der 1950er im düster vernebelten Venedig ideale Verhältnisse für ein stimmiges Fotoessay vorfand, rief sie den (damals schon) großen Robert Capa bei Magnum in Paris an, er müsse sofort einen Fotografen nach Venedig schicken. „Du bist eine Idiotin“, entgegnete er ihr. Und: Sie solle die Bilder gefälligst endlich selbst machen. So schildert Morath 1994 im Rahmen der „Berliner Lektionen“ ihr erstes eigenes Fotoprojekt. Nach einigem Zögern griff sie zur Kamera. Und wurde damit später nicht nur die erste Fotografin der legendären und bis heute männlich dominierten Fotoagentur Magnum, sondern auch die wohl berühmteste Österreichs. Sie hatte Marilyn Monroe, Pablo Picasso, Louise Bourgeois und immer wieder ihren späteren Mann Arthur Miller vor der Linse – und das wohl berühmteste Lama am Times Square.
Ihren 100. Geburtstag würde die 2002 in New York verstorbene Morath am heurigen 27. Mai begehen. Gefeiert wird sie jetzt schon nicht nur in Venedig (Palazzo Grimani), wo alles begann, sondern auch in München. Seit dem Wochenende stimmt außerdem das Rupertinum in Salzburg mit einer sehenswerten kleinen Schau in den Jubelreigen ein.
An die Salzach kam Morath kurz nach Kriegsende. Von ihrer Geburtsstadt Graz über Berlin, wo sie die Wirren des Kriegs in einer Schraubenfabrik überlebte, ging es für Morath in einem Flüchtlingszug nach Salzburg – ein Weg, der Spuren hinterlassen haben muss. Krieg wollte sie nie fotografieren, wird Morath später schreiben. Dafür aber Geflüchtete und mit ihnen das Leid, das der Krieg mit sich bringt.
In Salzburg verbrachte Morath wenige Jahre, die bis heute nachwirken. Ein nach ihr benannter Platz zeugt von der engen Zusammenarbeit der dort ansässigen Galerie im Fotohof mit Inge Morath. Die Schau in Venedig entstand gemeinsam mit dem Fotohof, der Morath ab Mai auch selbst eine (ungewöhnlich farbige) Rückschau widmen wird.
Anders als das Rupertinum, wo sich die Kuratorinnen Kerstin Stremmel und Andrea Lehner-Hagwood auf ein besonderes fotografisches Kapitel im Oeuvre der Fotografin konzentrieren. „Maske und Gesicht“ erzählt von einer Begegnung in Schwarz-Weiß, aus einer jahrelangen Zusammenarbeit. An ihrem Anfang stand der in die USA geflüchtete Zeichner Saul Steinberg, der Moraths Kamera gelinde gesagt reserviert gegenüberstand. Er war nicht eines von vielen Fotomodellen. Schon beim ersten Zusammentreffen 1959 soll Steinberg Morath also mit einer bemalten Papiertüte über dem Kopf empfangen haben – ein reizvolles (Masken-)Spiel entwickelte sich. Steinberg, der damals schon für den New Yorker zeichnete, fertigte eine Reihe unterschiedlichster Tüten für unterschiedlichste TrägerInnen. Mit wechselnden Masken schlüpften die SpielteilnehmerInnen von Rolle zu Rolle, während Morath die Kamera draufhielt.
In Salzburg mischen sich Originalmasken unter entzückende Porträts, die scheinbar ganz nebenbei auch von der McCarthy-Ära berichten. Gerade das Verschleiern bekommt vor dem Hintergrund der Kommunismusfurcht und der Verschwörungstheorien von damals nochmals einen ganz anderen Spin.
Die Begegnung mit Steinberg ist in der umfassenden „Homage“, die Isabel Siben und Anna-Patricia Kahn vom Inge Morath Estate im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung in München zeigen, nur ein Kapitel von vielen. Erst in dieser Schau wird Moraths Oeuvre auch in aller Breite präsentiert: die unbunten Alltagsszenen eines wuseligen New York, ihre späteren Fotoreisen, etwa in den Iran – und ihr In-Szene-Setzen des künstlerischen Who’s who der Nachkriegsjahre. Pablo Neruda mit ulkiger Brille, Audrey Hepburn nebst ihrem Hündchen – und unvergessen: eine etwas verwehte Marilyn Monroe am Set von „The Misfits“. Hier lernte Morath Dramatiker und Drehbuchschreiber Arthur Miller erst kennen. Er war damals noch mit Monroe verheiratet.
Dass Moraths durchaus stark von der Malerei der Moderne beeinflusste Fotografie neben besonderer Qualität auch ein ganz eigenes Flair entwickelt, wird in der Münchner Schau klar. Einen besseren Überblick bekommt man nirgends. Die Schau soll weiterreisen, entnimmt man der Kunstfoyer-Webseite – hoffentlich auch in die Heimat von Morath.
📍 Museum der Moderne, Rupertinum. Wiener-Philharmoniker-Gasse 9, Salzburg; bis 4. Juni, Di–So 10–18 Uhr.
📍 Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung. Maximilianstr. 53, München, bis 1. Mai, tägl. 9.30–18.45 Uhr.