Digitale Erinnerungskarte

235 Gedenkzeichen für NS-Opfer in ganz Tirol: Erinnerungen, die nahegehen

Das Projektteam – HistorikerInnen, Lehrende, SchülerInnen – stellte die digitale Erinnerungskarte im Beisein von Minister Martin Polaschek (5. v. l.), LR Cornelia Hagele (2. v. r.) und LH Anton Mattle (r.) vor.
© Domanig

Die Plattform Digitale Erinnerungslandschaft (DERLA) versammelt 235 Gedenkzeichen für Opfer des NS-Regimes in ganz Tirol – und soll SchülerInnen lokal und emotional ansprechen.

Innsbruck – Wie kann man die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus bis hin zum industrialisierten Massenmord wachhalten, wenn die letzten ZeitzeugInnen verstorben sein werden? Wie erreicht man nachkommende Generationen überhaupt noch? So lauten zentrale Fragestellungen hinter der Plattform „DERLA – Digitale Erinnerungslandschaft“, die Erinnerungszeichen für NS-Opfer – und damit die Menschen hinter den Schicksalen – sichtbar machen soll. Auf www.erinnerungslandschaft.at, einer vom Programm _erinnern.at_, dem Centrum für Jüdische Studien und dem Zentrum für Informationsmodellierung (beide Uni Graz) entwickelten Website, ist nach der Steiermark, Kärnten und Vorarlberg jetzt auch die Gedächtnislandschaft Tirols online.

Polaschek: "Gedenken kein Selbstzweck“

„Erinnerungszeichen schärfen den Blick für das, was in unmittelbarer Umgebung geschehen ist“, meinte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) bei der Präsentation am Montag des „Tirolteils“ dieser digitalen Landkarte. Schließlich sei Gedenken „kein Selbstzweck“, sondern geschehe „um der Gegenwart und Zukunft willen“. Und gerade SchülerInnen und Studierenden könne man die staatlichen und gesellschaftlichen Mechanismen der NS-Verbrechen über konkrete lokale Schicksale, „die besondere Nähe und eine andere Art der Betroffenheit erzeugen“, gut nahebringen.

Das Projekt DERLA Tirol versammelt nun – zum ersten Mal – alle 235 derartigen Erinnerungszeichen und -orte in Tirol, in 58 Gemeinden und allen neun Bezirken. Der Historiker Horst Schreiber als Projektleiter hat das umfangreiche Datenmaterial gemeinsam mit seinem Team von _erinnern.at_ sowie ExpertInnen der Pädagogischen Hochschule Tirol (PHT) – um Irmgard Bibermann, Christian Mathies und Selina Mittermeier – recherchiert und aufbereitet. Das Ganze sei Teil einer größeren Kooperation, die seit 2021 läuft, erklärt PHT-Vizerektorin Irmgard Plattner: Ein Schwerpunktjahr zum Thema Antisemitismus habe damals einen „Nachdenkprozess ausgelöst“, wie sich die Erinnerung an NS-Opfer zeitgemäß vermitteln lässt.

Interaktive Karte - mit Suche nach Kriterien

Und wie funktioniert die – für alle Interessierten öffentlich zugängliche – Plattform DERLA nun konkret? Es handelt sich um eine interaktive Karte, auf der man gezielt nach verschiedenen Kriterien filtern kann – regional, nach Opfergruppen (von jüdischen Opfern bis zu politisch Verfolgten), nach Geschlecht oder auch entlang der Zeitachse: Letzteres zeigt eindrücklich, dass es in Tirol in den ersten vier Jahrzehnten nach dem Krieg nur sehr wenige Erinnerungsorte für Opfer des NS-Regimes gab.

Seit den 90er-Jahren wächst die Gedenklandschaft stetig. Doch es gibt noch immer große Lücken – und auch diese macht DERLA sichtbar, indem beispielhaft Orte in Tirol aufgezählt werden, an denen Gedenkzeichen noch fehlen. Exemplarisch genannt wurde am Montag Hugo Mungenast aus Innsbruck-Arzl, der als Jenischer (oft abfällig als „Karner“ bezeichnet) 1940 im KZ Mauthausen starb. Für Roma und Sinti gebe es in Tirol bislang „überhaupt noch kein einziges Gedenkzeichen“, merkte Schreiber kritisch an.

Ein „Archiv der Namen“ auf der Plattform umfasst nicht weniger als 641 Einzelpersonen samt Kurzbiographien.

Genau dieser konkrete Ansatz mit direktem Lokalbezug steht auch beim Vermittlungsportal für Schulen – einem zentralen Element von DERLA – im Mittelpunkt. Die umfangreichen Vermittlungsangebote (abrufbar nach Bezirk, nach Themenblöcken wie NS-Euthanasie und Zwangsarbeit sowie nach Schultypen bis hin zur Volksschule) umfassen Text- und Bildquellen, Videos und Audiodateien.

Und zu jedem Bezirk wurden altersgerechte Unterrichtsfilme erstellt, die jeweils einen Menschen sichtbar machen – von der Ordensfrau Angela Autsch bis zu linken WiderstandskämpferInnen wie Adele Stürzl oder Hans Vogl.

Tiroler SchülerInnen federführend beteiligt

An der Erstellung der zeitgemäßen Unterrichtsmaterialien zur Erinnerung an lokale NS-Opfer waren engagierte Tiroler SchülerInnen selbst federführend beteiligt, darunter v. l. Jakob Siegl, Magdalena Fankhauser (beide BRG in der Au, Innsbruck) und Valentin Bichler (Abendgymnasium Innsbruck).
© Michael Domanig

An der Erstellung dieser Unterrichtsmaterialien waren Tiroler SchülerInnen selbst federführend beteiligt: Drei von ihnen, nämlich Magdalena Fankhauser und Jakob Siegl vom BRG in der Au sowie Valentin Bichler vom Abendgymnasium Innsbruck, beschrieben gestern ihre Motivation. Ihnen gehe es um die Menschen hinter den vielen Zahlen und Fakten. „Einzelschicksale geben ein tieferes Verständnis von dem, was passiert ist“, so der Tenor.

Die Präsentation am Montag erfolgte übrigens nicht zufällig im Landhaus – das als „Gauhaus“ einst selbst ein zentraler NS-Täterort in Tirol war.

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