„Wovon wir leben“: Atemraubende Trostlosigkeit in kristallklaren Sätzen
Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher stellt ihren großartigen Roman „Wovon wir leben“ beim 21. Innsbrucker Prosafestival vor.
Innsbruck – Keine zweihundert Seiten hat man gelesen, wenn man Birgit Birnbachers Roman „Wovon wir leben“ zuklappt. Man hätte Birnbachers schnörkellose, ungekünstelt lakonische Sätze gerne weitergelesen und sich über die zart poetischen Sprachbilder gefreut, die diese Schnörkellosigkeit veredeln. „Wovon wir leben“ ist ein erstaunlicher Roman – er löst erstaunliche Überlegungen aus. Die vielleicht erstaunlichste: Wie lässt sich so viel Welt auf letztlich so wenigen Seiten erzählen.
Aber der Reihe nach: In „Wovon wir leben“ erzählt Julia ihre Geschichte. Julia ist Mitte dreißig. Sie hat gerade ihre Arbeit verloren. Und ihre Affäre. Und sie leidet immer wieder an Atemnot. Dass beides, der Verlust der Arbeit – sie war Krankenschwester – und die Atemnot, irgendwie zusammenhängt, liegt nahe. Julia ist bei der Behandlung eines Patienten ein Fehler passiert. Es ging gerade noch einmal gut. Aber was heißt das schon. Julia jedenfalls ist ihren Job los – und gezwungen, dorthin zu gehen, wo sie schon früher nicht sein wollte: in ihr Heimatdorf, zu Vater und Bruder. Die Mutter ist aus der namenlosen Ortschaft geflüchtet – in den Süden, nach Sizilien.
Julia wird, weil es nun einmal so zu sein hat, wie es seit jeher ist, den Platz der Mutter einnehmen: Sie wird den alten und den jungen, aber hilfsbedürftigen Mann des Hauses pflegen – sie wird sich kümmern. Die Leute im Dorf begegnen der „Städterin“ mit erwartbarer Zurückhaltung. Aber sie haben andere Sorgen. Die Gegend ist das, was man strukturschwach nennt. Die großen Arbeitgeber haben dichtgemacht. Das Leben der Leute geriet aus dem Takt. Die Männer sitzen im Gasthaus. „Wovon wir leben“ ist – Birgit Birnbacher ist studierte Soziologin – eine präzise Untersuchung provinzieller Trostlosigkeit. Die ist manchmal sogar ein bisschen lustig, etwa wenn der Wirt seine Ziege verspielt – oder wenigstens tragikomisch. Wenn Julia erzählt, was so geredet wird – und man sich mit ihr denken darf, was dabei nicht gesagt wird zum Beispiel. Trotzdem: „Wovon wir leben“ ist keine Anklage, keine Abrechnung – genau beobachtet ist dieses Buch. Schmerzhaft genau. Und ziemlich traurig.
Aber eben nicht frei von Hoffnung. Oskar zum Beispiel könnte für Julia zum Hoffnungsfunken werden. Er ist ein paar Jahre älter als sie – aber eigentlich ist er zu jung, um sich bereits von einem Herzinfarkt erholen zu müssen. Obwohl sein Herz einen Aussetzer hatte, ist er – so sieht es jedenfalls Julia – zum Glücklichsein geboren. Weil sie von sich weiß, dass ihr das Talent zum Glück fehlt, glaubt sie auch nicht wirklich daran, dass da was entstehen könnte. Es ist also kompliziert, zwischenmenschlich, in der Familie, im Dorf – und überhaupt.
Auch ohne Asthma, möchte man meinen, dürfte es einer, die das alles irgendwie satthat, die patriarchalen Strukturen, das ganze bierselige Besserwissen und beleidigte Schweigen, zunehmend schwerfallen durchzuatmen. Julias, von Birgit Birnbacher in kristallklare Sätze gefassten Versuche, es beharrlich trotzdem immer und immer wieder zu tun, geben der Erzählung ihren wunderbar eigenwilligen Rhythmus. „Wovon wir leben“ beschäftigt sich, ohne Effekthascherei und fern aller Betroffenheitsposen, mit großen Gegenwartsfragen und spürt deren Hineinwirken in die so genannten kleinen Verhältnisse nach. Die große Welt – und die kleinen Welten, aus denen sich die große zusammensetzt – sieht man danach mit anderen Augen. Kurzum: Dieser verblüffend kurze Roman wirkt lange nach. Und: Er raubt einem den Atem.
Roman Birgit Birnbacher: Wovon wir leben. Paul Zsolnay Verlag, 191 Seiten, 24,70 Euro.
21. Innsbrucker Prosafestival
Im Vorjahr feierte das Innsbrucker Prosafestival 20. Geburtstag. Heuer findet der von Markus Köhle, Robert Renk und Martin Fritz kuratierte Vorlesereigen von 13. bis 15. April statt. Das Programm im Überblick:
Donnerstag, 13. April: Lydia Mischkulnig kommt mit ihrem neuen Erzählband „Die Gemochten“; der Schweizer Autor Simon Froehling hat seinen Roman „Dürrst“ im Handgepäck; Maria Muhar präsentiert ihr Romandebüt „Lento Violento“; und der Tiroler Robert Prosser performt sich erstmals in Innsbruck durch sein jüngstes Buch „Verschwinden in Lawinen“. Ab 20 Uhr in der Buchhandlung Wagner’sche.
Freitag, 14. April: Die deutsche Krimikönigin Simone Buchholz beweist mit „Unsterblich sind nur die anderen“, dass man auch im Alpenraum in See stechen kann; Ariane Koch aus der Schweiz sinniert in „Die Aufdrängung“ über Sofas und Staubsauger; und mit dem Ukrainer Jury Andruchowytsch kommt einer der ganz großen Gegenwartsautoren zum Prosafestival. Ab 20 Uhr im Brux.