Leitartikel

Zum Tag der Pressefreiheit: Zuerst kommt der ORF und dann lange nichts

Die Bundesregierung setzt mit der ORF-Digitalnovelle Medien- und Meinungsvielfalt aufs Spiel. Das ist schlecht für Österreichs private Medien und für das ganze Land.

Türkis-Grün hat sich festgelegt: Zuerst kommt der ORF und dann lange nichts. Es fällt schwer, die nun in Begutachtung befindliche Novelle des ORF-Gesetzes als etwas anderes zu lesen als das, was sie ist: die in den Parteizentralen von ÖVP und Grünen ausgeheckte Strategie, die Dominanz des mit Abstand größten Medienkonzerns des Landes noch weiter auszubauen. Nach der Devise: Warum sich mit Zeitungen sowie Radio- und Fernsehstationen in privater Hand herumärgern, wenn man dank Stiftungsrat und Co. die Geschicke der größten Medienorgel des Landes lenken kann?

Die Medienpolitik der Bundesregierung im Jahre 2023 – das heißt staatlich begünstigte Monokultur statt Medienvielfalt. Und Medienpolitik, wie sie federführend die zuständige Ministerin Susanne Raab (VP) entgegen aller Einwände betreibt, bedeutet auch: Die chronische, international ihresgleichen suchende Marktverzerrung innerhalb der österreichischen Medienlandschaft wird nicht nur prolongiert, sondern verstärkt.

Angesichts des weitreichenden Digitalpakets zu behaupten, der ORF werde in seinen Möglichkeiten beschränkt, verkennt die Tatsachen. Ebenso wenig kann von einem Kompromiss zwischen Regierung, ORF und Privaten gesprochen werden: Üppig ausgestattet mit 710 Millionen Euro Gebührengeldern und gut 300 Millionen Werbeerlösen pro Jahr wird man am Küniglberg die ersehnte Online-Offensive in Angriff nehmen.

Die neue Haushaltsabgabe geht zu Lasten aller Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, welche Medienangebote sie in Anspruch nehmen und für welche sie bezahlen möchten. Und sie sabotiert im Verbund mit den zusätzlichen Möglichkeiten, die der ORF online erhält, von Staats wegen die privaten Medienhäuser in ihrem Bestreben, ein tragfähiges digitales Geschäftsmodell für unabhängigen Journalismus zu etablieren.

Wenn die Tageszeitungen des Landes am Tag der Pressefreiheit mit leeren Titelseiten erscheinen, wenn sich Österreichs Verleger in einem offenen Brief an die Politik wenden, dann geschieht das nicht, weil noch ein paar Details nachzuverhandeln wären. Es geht bei diesem Protest um viel mehr: Die Pläne der Koalition sind nicht weniger als eine verantwortungslose, kurzsichtige Gefährdung der Medienvielfalt, sie begünstigen das Entstehen eines öffentlich-rechtlichen Meinungsmonopols. Nichts davon kann im Interesse einer liberalen demokratischen Gesellschaft sein, die vielfältige und vielstimmige, unabhängige Berichterstattung als eine ihrer Grundbedingungen anerkennt.

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