📸 Bilder aus Cannes

Einziger österreichischer Film im Wettbewerb: Premiere von Hausners „Club Zero“ in Cannes

Regisseurin Jessica Hausner mit den Schauspielerinnen Mia Wasikowska und Elsa Zylberstein bei der Premiere.
© APA/AFP

Montagabend feierte der Film, für den Hausner Hollywoodschauspieler Mia Wasikowska gewinnen konnte, bei den Filmfestspielen in Cannes Weltpremiere.

Cannes – Wer braucht schon belastbare Fakten, wenn der Glaube Berge versetzt – oder aber den Hunger zähmt? Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner rückt in "Club Zero" eine Gruppe von Jugendlichen in den Fokus, die angeleitet von ihrer manipulativen Lehrerin sektenartige Züge entwickelt. Montagabend feierte der mit ruhigen Tableaus arbeitende Film, für den Hausner Hollywoodschauspieler Mia Wasikowska gewinnen konnte, bei den Filmfestspielen in Cannes Weltpremiere.

Mia Wasikowska spielt die Hauptrolle.
© Festival de Cannes

Wie schon ihre Vorgängerarbeit "Little Joe" läuft der sechste Spielfilm von Hausner im Wettbewerb des renommierten Festivals. Gab es 2019 für Hauptdarstellerin Emily Beecham sogar den Preis als beste Schauspielerin, so ist es erneut die weibliche Hauptrolle, die in "Club Zero" den Ton angibt. Dabei muss die Australierin Wasikowska als neue Ernährungslehrerin Miss Novak an einer Eliteschule nur wenig tun, um ihren Einfluss zur Geltung zu bringen. Von der Direktorin (Sidse Babett Knudsen) über das Elterngremium bis hin zu den Schülern zeigen sich alle angetan von der jungen Pädagogin, die gleich mit eigenem Diättee anrückt.

Bilder von der Premiere

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Luke Barker, Mia Wasikowska, Mathieu Demy, Elsa Zylberstein, Jessica Hausner und Amir El-Masry (v.l.)

Luke Barker, Mia Wasikowska, Mathieu Demy, Elsa Zylberstein, Jessica Hausner und Amir El-Masry (v.l.)

© APA/AFP

Die Côte d’Azur ist Jessica Hausner bestens vertraut.

Die Côte d’Azur ist Jessica Hausner bestens vertraut.

© APA/AFP

Dabei wäre eine gesunde Skepsis angebracht, als sie in kleiner Runde erstmals von der Idee des "bewussten Essens" erzählt. Vor jedem Bissen sollen sich ihre Schüler von allen Gedanken befreien, dabei durch die Nase ein- und den Mund ausatmen. Ziel der Übung? "Je langsamer ihr esst, umso weniger Essen werdet ihr brauchen", meint eine ebenso freundliche wie bestimmte Miss Novak. Und bei Elsa, Fred, Ragna, Helen und Ben stößt sie mit ihren Vorschlägen recht schnell auf offene Ohren. Die Teenager fühlen sich von ihren Eltern nicht verstanden oder im Stich gelassen, womit die neue Vertrauensperson leichtes Spiel hat.

© Festival de Cannes

Es dauert nicht lange, bis Miss Novaks Ideen extremer werden: Zunächst scheinen die positiven Effekte der Ernährungsumstellung durchaus reizvoll - nicht nur einmal fallen Schlagworte wie Klimawandel und Konsumwahn -, aber dabei soll es keineswegs bleiben. Immer restriktiver werden die stets betont sachlich dargebotenen Vorschläge, bis der Endpunkt erreicht scheint - denn eigentlich brauche man gar keine Nahrung. "Aber jemand, der nicht isst, wird nicht toleriert", fasst Novak die Krux eines solchen Lebens zusammen. Ob es für diese Behauptung Belege gebe, wischt sie mit einer leichten Handbewegung weg. "Wozu brauchen wir wissenschaftliche Beweise für etwas, das ganz offensichtlich funktioniert?"

Spätestens ab diesem Zeitpunkt lässt Hausner, die das Drehbuch erneut mit Géraldine Bajard verfasst hat, das Geschehen ins Absurde und die Eltern-Kind-Dynamik in Richtung des manipulierten Nachwuchses kippen. Das meist von leicht oben gefilmte Geschehen (Kameramann Martin Gschlacht setzt die Räume sehr gekonnt in Szene) gerät damit aus dem Ruder, und Miss Novak kommt trotz eines massiven Rückschlags an der Schule ihrem langfristigen Ziel näher. Der Punkt, an dem es scheinbar kein Zurück mehr gibt, wird von den Jugendlichen herbeigesehnt, während sich ihre Eltern davon überrumpelt zeigen. Dabei waren die Warnsignale nur allzu deutlich sichtbar - nicht nur für das Kinopublikum in Form der Musik von Markus Binder, dessen perkussiver Soundtrack den Pulsschlag nach oben treibt.

📽️ Video | Clip aus "Club Zero"

In einer Zeit, in der pandemiebedingte Konflikte in der Gesellschaft noch schmerzhaft nachhallen, legt Hausner mit "Club Zero" den Finger in die Wunde. Wozu sind wir bereit, wenn uns etwas lohnens- und erstrebenswert scheint, selbst wenn der "gesunde Menschenverstand" die Alarmglocken schrillen lässt? Kleine Veränderungen können oft große Wirkung haben, vor allem wenn diese mit Hartnäckigkeit vorangetrieben werden, wie es Miss Novak vorexerziert. Da kann jedes noch so kluge und mit Fakten unterfütterte Argument einpacken. Jessica Hausner vermengt all diese Fragen und Elemente zu einem beklemmenden Kammerspiel, das sie mit klaren Farben und langsamen Szenefolgen behutsam wirken lässt.

Die Wiener Filmemacherin Jessica Hausner.
© APA/AFP

Jessica Hausner: In Cannes kennt sie sich bestens aus

Die Côte d’Azur ist Jessica Hausner bestens vertraut. Schon 1999 wurde ihr semidokumentarischer Kurzfilm „Inter-View“ beim Festival von Cannes gezeigt. In der Reihe „Cinéfondation“ wurde er sogar prämiert. 2014 präsentierte Hausner ihren Film „Amour Fou“ in der Reihe „Un Certain Regard“ beim weltweit prestigeträchtigsten Filmfestival. 2019 lief ihr Film „Little Joe“ – ein im Nachhinein beinahe prophetischer, ziemlich grusliger und herausragend kolorierter Infektionshorror – im Wettbewerb um die Goldene Palme – und brachte Hauptdarstellerin Emily Beecham einen der Schauspielpreise. Und 2021 saß die Wiener Filmemacherin neben internationalen Größen wie Spike Lee, Maggie Gyllenhaal und Mélanie Laurent in der Jury, die die wichtigsten Preise des Festivals vergab.

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Auch heuer wurde Hausner, Tochter der Fotografin Anne Hausner und des für seinen Phantastischen Realismus bekannten Malers Rudolf Hausner, nach Südfrankreich eingeladen. Der sechste Spielfilm der 50-Jährigen, „Club Zero“, läuft im Wettbewerb. Am Montagabend kommt er dort zur Weltpremiere. Es geht darin um eine von Mia Wasikowska gespielte Lehrerin, die SchülerInnen manipuliert. Lose angelehnt ist die Geschichte an den „Rattenfänger von Hameln“. Nach „Little Joe“ ist „Club Zero“ Hausners zweiter englischsprachiger Film.

Hausner studierte an der Wiener Film­akademie. Seit Ende 2020 ist sie dort Regie-Professorin. Sie ist Mitgründerin der Produktionsfirma Coop99, die Kinohits wie „Toni Erdmann“ und Festivalerfolge wie „März“ und „Kater“ von Händl Klaus ermöglichte.

Das Drama „Lovely Rita“ (2001) – auch dieser Film kam in Cannes zur Uraufführung – machte sie international bekannt. Auch ihr Thriller „Hotel“ – natürlich lief er 2004 zuerst in Cannes – wurde von der Kritik gefeiert und vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Großen Preis der Grazer Diagonale. Jessica Hausner hat einen Sohn – und lebt in Wien. (jole)

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