Kinder 40 Tage nach Flugzeugabsturz im Dschungel gerettet, Familie wieder vereint
Die Kinder irrten herum, bauten sich Unterstände und ernährten sich von Früchten. Ein glückliches Ende einer mühsamen Suche mit Hunderten Soldaten und Indigenen.
Bogota – Nach der Rettung von vier Kindern aus dem kolumbianischen Regenwald ist die Familie wiedervereint. „Ich habe sie besucht. Sie sind sehr erschöpft, die Armen", sagte der Großvater Filencio Valencia der Zeitung „El Tiempo" am Samstag, nachdem er seine Enkel im Militärhospital in Bogotá besucht hatte. „Sie schlafen. Sie sind unterernährt. Sie sind dünn, sehr dünn."
Auch die Großmutter Fátima Valencia besuchte die Geschwister im Krankenhaus. „Ich weine vor Freude. Die Kinder sind erschöpft, aber ich habe das Fleisch und Blut meiner Tochter zurück." Die Mutter der Kinder war bei dem Flugzeugabsturz am 1. Mai im Süden des Landes ums Leben gekommen. Seitdem hatten Soldaten und Indigene die Kinder in dem unwegsamen Gelände gesucht.
Auch der Vater der Geschwister im Alter von 13, 9 und 5 Jahren sowie einem Jahr beteiligte sich an der Suche. Nachdem die Kinder gefunden wurden, begleitete er sie in das Militärhospital in Bogotá. „Ich bin auch aufgenommen worden. Ich bin krank", sagte Manuel Ranoque. „Ich habe hohes Fieber. Ich habe 40 Tage darum gekämpft, meine Kinder wiederzufinden."
Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro informierte sich am Samstag im Militärhospital in Bogotá über den Gesundheitszustand der Geschwister. "Die Kinder erholen sich. Sie nehmen Flüssigkeit zu sich. Aber sie können noch keine Nahrung aufnehmen", sagte Verteidigungsminister Iván Velásquez nach dem Besuch. Der Militärarzt Carlos Rincón Arango sagte, die Kinder hätten eine Reihe leichter Verletzungen und seien mangelernährt. Sie befänden sich angesichts der Umstände aber in einem akzeptablen Zustand. Er rechne mit einem Krankenhausaufenthalt von zwei bis drei Wochen.
Die vier Kinder waren nach wochenlanger Suche im kolumbianischen Regenwald gefunden worden. Ein doppeltes Wunder, denn die Geschwister überlebten nicht nur einen Flugzeugabsturz, sondern auch 40 Tage im dichten Dschungel. Das Überleben der vier indigenen Kinder führte ihre Großmutter vor allem auf die kämpferische Natur des ältesten Mädchens Lesly zurück. Sie nannte ihre Enkelin eine „Kriegerin", die das Überleben der Kinder im Dschungel gesichert habe. „Sie hat sich schon immer regelmäßig um ihre Brüder und Schwestern gekümmert, wenn ihre Mutter gearbeitet hat", sagte sie.
"Eine Freude für das ganze Land. Die vier Kinder, die seit 40 Tagen im kolumbianischen Regenwald vermisst wurden, sind lebend gefunden worden", schrieb Petro auf Twitter. Dazu veröffentlichte er ein Foto von Soldaten und Indigenen im Dschungel, die die Kinder mit Wasser und Essen versorgten.
"Die gemeinsamen Anstrengungen haben diese Freude für Kolumbien ermöglicht", sagte der Kommandeur der Streitkräfte, General Helder Fernan Giraldo Bonilla. Auf Fotos des Militärs waren die Kinder zu sehen, das kleinste auf dem Arm eines Soldaten, die drei anderen auf Plastikplanen auf dem Boden sitzend. Später war in einem Video der Luftfahrtbehörde zu sehen, wie die Kinder in einen Hubschrauber gehoben wurden.
Suchhund wird vermisst
Einen Vermissten gab es jedoch nach der Rettung der Kinder: Der belgische Schäferhund Wilson, der Medienberichten zufolge Fährten aufgespürt und maßgeblich zum Erfolg der Suche beigetragen hatte, war nicht zu den Einsatzkräften zurückkehrt. Die Suche nach Wilson werde fortgesetzt, kündigten die Streitkräfte an.
Die Kinder in Kolumbien waren Medienberichten zufolge mit ihrer Mutter auf dem Weg zu ihrem Vater, der nach ständigen Drohungen durch eine Splittergruppe der Guerillaorganisation Farc aus der Region geflohen war. Zwar hat sich die Sicherheitslage nach dem Friedensabkommen 2016 zwischen der Regierung und der Farc verbessert, allerdings werden noch immer Teile des südamerikanischen Landes von illegalen Gruppen kontrolliert. Vor allem Indigene, soziale Aktivisten und Umweltschützer geraten immer wieder in das Visier der kriminellen Banden.
Der Pilot habe per Funk von Problemen mit dem Motor berichtet, bevor die Maschine abstürzte, hieß es zuletzt im vorläufigen Bericht der Luftfahrtbehörde. Zuvor hatte der Pilot noch angekündigt, auf einem Fluss notwassern zu wollen. Das Kleinflugzeug sei dann aber mit den Baumspitzen kollidiert, Motor und Propeller seien von der Maschine abgerissen worden und das Flugzeug sei senkrecht zu Boden gestürzt.
Offenbar war das Flugzeug beim Zusammenstoß mit den Baumkronen schon stark abgebremst worden, so dass der Aufprall auf der Erde weniger stark war. Im hinteren Teil der Kabine seien kaum Schäden festgestellt worden, hieß es in dem Bericht. Die Kinder könnten das Flugzeugwrack über die vordere Tür zur Linken des Piloten verlassen haben.
In der Hoffnung, die 13-jährige Lesly, den neunjährigen Soleiny, den vierjährigen Tien Noriel und die elf Monate alte Cristin zu retten, wurde ein großer Sucheinsatz mit 160 Soldaten und 70 Indigenen eingeleitet. Die Einsatzkräfte hatten ihre Spur verfolgt und dabei eine Babyflasche, eine Schere, Schuhe, Windeln, zerkaute Früchte, Fußabdrücke und Notunterkünfte entdeckt.
Anhand der gefundenen Gegenstände und Spuren konnten die Soldaten den bisher zurückgelegten Weg der Kinder rekonstruieren. Demnach entfernten sie sich zunächst von der Absturzstelle vier Kilometer Richtung Westen. Dann stießen sie offenbar auf ein Hindernis und wendeten sich gen Norden. Der Regenwald in der Region ist sehr dicht, was die Suche nach den Vermissten erheblich erschwerte. Zudem regnet es praktisch ununterbrochen.
Die Kinder gehören selbst zu einer indigenen Gemeinschaft, ihre Kenntnis der Region könnte ihnen geholfen haben, nach dem Absturz im Dschungel zu überleben. Ihre Großmutter Fátima Valencia vertraute vor allem auf die älteste Schwester. „Sie war immer wie die Mutter, sie hat die anderen mit in den Wald genommen", sagte sie zuletzt im Radiosender La FM. „Sie kennt die Pflanzen und Früchte. Wir Indigene lernen von klein auf, welche man essen kann und welche nicht." Die Kinder des indigenen Volks der Huitoto oder Witoto lernen früh jagen, fischen und das Sammeln von essbaren Pflanzen. In dem Gebiet des Absturzes leben allerdings auch Schlangen, Jaguare, Pumas und andere Raubtiere. Außerdem sind dort bewaffnete Drogenbanden aktiv.
Für den Sucheinsatz nutzte die Armee unter anderem Spürhunde, Hubschrauber und Satellitenbilder. Außerdem wurden über dem Gebiet 10.000 Flugblätter abgeworfen, auf denen die Kinder auf Spanisch und in ihrer indigenen Muttersprache aufgerufen werden zu bleiben, wo sie sind. Über Lautsprecher wurde eine Botschaft im Dschungel verbreitet, in der die Großmutter der Kinder diese aufruft, sich nicht weiter von der Absturzstelle weg zu bewegen, damit die Soldaten sie finden könnten.
Der Fall erinnert an die Deutsch-Peruanerin Juliane Koepcke, die 1971 einen Flugzeugabsturz im peruanischen Regenwald überlebte und nach zehn Tagen gerettet wurde. Da ihre Eltern als Biologen im Amazonasgebiet forschten, war der damals 17-Jährigen die Umgebung vertraut und sie konnte sich bis zu einem Fluss durchschlagen, wo sie schließlich von Waldarbeitern gefunden wurde.(APA/dpa/AFP)