G7 wollen Schutzschirm für Ukraine, Kreml sieht „Dritten Weltkrieg“ näher rücken
Die G7-Staaten beabsichtigen offenbar die Ukraine durch Sicherheitszusagen langfristig zu schützen. Russische Spitzenpolitiker reagieren mit drastischen Warnungen.
Vilnius/Moskau – Die NATO setzt am Mittwoch ihr Gipfeltreffen in der litauischen Hauptstadt Vilnius fort. Im Mittelpunkt steht ein Treffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit den Staats- und Regierungschefs bei einer Zusammenkunft des neuen NATO-Ukraine-Rates. Nach Angaben aus den USA und Großbritannien wollen die Staats- und Regierungschefs der G7 gemeinsam ihre Absicht erklären, die Ukraine durch Sicherheitszusagen langfristig zu schützen.
US-Präsident Joe Biden werde mit den anderen Chefs der sieben bedeutendsten Industriestaaten der westlichen Welt (G7) und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj am Mittwochnachmittag beim NATO-Gipfel in Vilnius eine entsprechende Ankündigung machen, erklärte eine Vertreterin des Nationalen Sicherheitsrats der US-Regierung am Mittwoch. Dabei gehe es insbesondere um den Aufbau eines Militärs, das in der Lage sei, künftige Angriffe abzuwehren. Mit der G7-Erklärung würden die Länder bilaterale Gespräche mit der Ukraine über konkrete Sicherheitsverpflichtungen einleiten.
Selenskyj nennt drei Prioritäten
Selenskyj selbst sagte, für sein Land Sicherheitsgarantien auf dem Weg in die NATO zu wollen. Dafür wolle er "kämpfen", sagte Selenskyj am Mittwoch in Vilnius bei einem kurzen Auftritt vor Journalisten. Vor anstehenden Gesprächen mit Staats- und Regierungschefs des Bündnisses nannte er insgesamt drei eigene Prioritäten. "Die erste sind neue Waffenlieferungen für die Unterstützung unserer Streitkräfte auf dem Schlachtfeld", sagte er. Auch wolle er über die Einladung zu einem NATO-Beitritt sprechen und Klarheit über die Bedingungen dafür schaffen. Er verstehe es so, dass eine Einladung erfolgen könne, wenn die Sicherheitslage es erlaube. Als weitere Priorität nannte er die Sicherheitsgarantien.
Eine künftige Aufnahme der Ukraine in die NATO würde dem westlichen Militärbündnis aus Sicht von Polens Präsident Andrzej Duda kampferprobte Truppen und eine enorme Flächenausdehnung einbringen. Dies wäre auch eine Stärkung für Polen, sagte Duda am Mittwoch in Vilnius. "Heute sind wir die Flanke das NATO, aber wenn die Ukraine - was ich hoffe – einmal in die NATO aufgenommen wird, verschiebt sich diese Flanke zumindest teilweise nach Osten." Die Ukraine sei auch derzeit schon die Pufferzone, die Polen von der Bedrohung durch Russland trenne. Duda betonte, ein konkretes Beitrittsdatum für die Ukraine sei nicht möglich, solange dort noch gekämpft werde.
Die Regierungschefs von Lettland und Estland würdigten die Beschlüsse des NATO-Gipfels als wichtige Weichenstellungen für ihre Sicherheit. Die absehbare Aufnahme Schwedens in die NATO und die Verabschiedung neuer Verteidigungspläne seien sehr wichtig für den Schutz und die Verteidigung der zu EU und NATO gehörenden Ostseestaaten im Nordosten Europas, sagten Krisjanis Karins und Kaja Kallas am Mittwoch in Vilnius. "Die Ostsee wird jetzt effektiv zum NATO-Meer werden. Und das hat unglaublich positive Auswirkungen auf die Sicherheit der baltischen Staaten", sagte Karins.
Wie auch Kallas verwies er darauf, dass die Verteidigung von Estland, Lettland und Litauen geografisch oder militärisch damit nicht mehr nur von der "Suwalki-Lücke" abhängig sei. Hilfe und Nachschub könnte nun auch über die Ostsee bereitgestellt werden. Bei der sogenannten "Suwalki-Lücke" handelt es sich um einen Korridor auf polnischem und litauischem Gebiet zwischen Belarus und der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad. Im Ernstfall könnte Russland die Baltenstaaten durch dessen Einnahme vom restlichen NATO-Gebiet abschneiden.
Keine NATO-Einladung für Ukraine, aber Perspektive
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird zum Abschluss des zweitägigen Treffens des Verteidigungsbündnisses Bilanz ziehen. Zum Auftakt des Gipfels am Dienstag hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz der Ukraine ein neues Waffenpaket im Wert von 700 Millionen Euro mit weiteren Panzern, Munition und Patriot-Flugabwehrgeräten zugesagt. Konkrete Versprechen für einen Beitritt zu dem Verteidigungsbündnis wollten insbesondere er und Biden Kiew aber nicht machen. Der ukrainische Präsident hatte seinem Ärger darüber schon während seiner Anreise nach Vilnius Luft gemacht und warnte, Unbestimmtheit sei ein Zeichen der Schwäche des Westens.
Die NATO-Staaten verständigten sich lediglich darauf, der Ukraine nach Ende des russischen Angriffskriegs grundsätzlich eine Aufnahme in die transatlantische Allianz zu ermöglichen. Eine Einladung sei aber erst möglich, "wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der 31 NATO-Mitglieder.
Putin-Vertrauter Medwedew warnt vor "Drittem Weltkrieg"
Nichtsdestotrotz verschärfen die jüngsten NATO-Hilfen für die Ukraine gemäß den Worten des russischen Spitzenpolitikers Dmitri Medwedew den Konflikt und haben keinen Einfluss auf die Ziele Russlands. "Der völlig verrückte Westen konnte sich nichts anderes einfallen lassen ... In der Tat, es ist eine Sackgasse. Der Dritte Weltkrieg rückt näher", schreibt der Vizevorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates auf Telegram. "Was bedeutet das alles für uns? Das ist alles offensichtlich. Die spezielle Militäroperation wird mit denselben Zielen fortgesetzt."
Der russische Außenminister Sergej Lawrow gibt ebenfalls dem Westen die Schuld daran, dass der Krieg in der Ukraine kein Ende findet. "Warum geht die bewaffnete Konfrontation in der Ukraine nicht zu Ende? Die Antwort ist sehr einfach: Sie wird so lange andauern, bis der Westen seine Pläne zur Wahrung seiner Vorherrschaft aufgibt und seinen zwanghaften Wunsch überwindet, Russland durch seine Kiewer Marionetten eine strategische Niederlage zuzufügen", sagt Lawrow der Zeitung "Kompas".
Von der Leyen ermuntert Kiew zu Reformen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ermunterte die Ukraine indes zu weiteren Reformen. Am Rande des NATO-Gipfels in Vilnius nannte sie am Mittwoch den Kampf gegen Korruption und die Stärkung der Institutionen als Aufgaben, bei denen die EU weiter unterstützen könne. Das Reformtempo der Ukraine sei beeindruckend, obwohl das Land einen Abwehrkampf gegen Russland führe. "Und diese Grundvoraussetzung der Reformen gelten sowohl für den Beitritt zur Europäischen Union als auch zur NATO. Hier können wir intensiv unterstützen", sagte von der Leyen. Die EU helfe auch dabei, die Produktion von Munition anzukurbeln, um der Ukraine zu helfen und Bestände in EU-Staaten aufzufüllen. (TT.com, APA/dpa/Reuters)
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