Wirbel um „Lokalaugenschein“

Mann schlief auf Parkbank, Wiener ÖVP-Chef rief Polizei: Mahrer-Aktion sorgt für Häme und Spott

Wiens ÖVP-Obmann Karl Mahrer sorgt erneut mit einer Aktion für Irritationen.
© IMAGO/Martin Juen

Der Wiener ÖVP-Chef ließ sich neben einem auf einer Parkbank schlafenden Mann dabei filmen, wie er die Polizei verständigte. Es ist nicht die erste vielkritisierte Aktion des nicht amtsführenden Stadtrats.

Wien – Er hat es wieder getan. Karl Mahrer hat ein Video produziert. Diesmal auf der Mariahilfer Straße.

Das hat ein Wiener Grünen-Mandatar dokumentiert. Silvio Heinze, Bezirksrat und Klubchef in Neubau, hat ein Bild davon via Twitter veröffentlicht. Zu sehen ist ÖVP-Landeschef Mahrer, der telefonierend vor einer Parkbank steht, auf der ein Mann liegt.

Heinze schrieb dazu: „Zufällig auf der #MaHü beobachtet, wie die @oevpwien einen ,Skandal‘ fabriziert: @Karl Mahrer filmt sich, wie er die Polizei ruft, weil ein Wiener auf einer Bank schläft und er ihn für nicht ,anschaulich‘ hält. Fragt nicht nach, wie es ihm geht, oder ruft die Rettung.“ Er habe dann bei dem Mann nachgefragt, ließ Heinze ebenfalls wissen: „Ihm geht es gut, war nur warm und hat einen kurzen Mittagsschlaf gehalten. Der öffentliche Raum ist für alle da.“

Mahrer selbst reagierte ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst. Er habe gesehen, dass bei dem Mann eine Atmung vorhanden gewesen sei. Für eine "Prüfung des Sachverhalts" habe er die "Profis", also die Polizei, verständigt. Die Situation, dass Menschen vermehrt auf Bänken oder "am Boden unter Flaschenbergen" liegen, sei nicht akzeptabel, befand der VP-Politiker. Man wolle "hinschauen" und Verbesserungen für Anrainerinnen und Anrainer finden. Mahrer bestätigte, mit einem "Team" unterwegs gewesen zu sein.

Mahrer – er war Vizepräsident der Landespolizeidirektion Wien und Landespolizeikommandant – replizierte auf Twitter. Er sei „mit einem Team“ auf der Mariahilfer Straße unterwegs gewesen, „nachdem uns mehrere Menschen auf eine Verschlechterung der Situation aufmerksam gemacht haben“. Der Mann sei ihm aufgefallen. „Ich bin daraufhin zu ihm gegangen und konnte sehen, dass eine Atmung vorhanden war – also keine Lebensgefahr bestanden hat.“

Daraufhin habe er „für eine weitere Prüfung des Sachverhalts (...) die Profis kontaktiert – in dem konkreten Fall die Polizei.“ Und: „Die Situation vor Ort, dass Menschen vermehrt auf den Parkbänken oder am Boden unter Flaschenbergen liegen und am Abend auch in Hauseinfahrten schwer betrunken campieren, ist nicht akzeptabel.“ Er sei einer, der hinschaue – und versuche, „Verbesserungen für die Anrainer und die betroffenen Menschen zu finden“.

Viele Reaktionen gibt es auf das Vorgehen des nicht amtsführenden Stadtrates Mahrer in sozialen Netzwerken.

Ein Polit-Beobachter diagnostiziert einen „Exzess der Niedertracht“, ein anderer befindet, Mahrer verkörpere „den Niedergang des politischen Bürgerlichen in der Stadt“. Manche kommentieren die Sache hämisch. Eine Twitterantin befindet: „Meine Nachbarn und ich trauen uns in Wien nicht mehr auf die Straßen. Vor lauter Angst, wir könnten dem Mahrer begegnen.“ Und das Satire-Portal Die Tagespresse betitelt einen Beitrag so: „Liegt allen auf der Tasche: Obdachloser ruft Polizei wegen nicht amtsführendem Stadtrat Mahrer.“

Von der Wiener Polizei hieß es auf eine entsprechende Frage eines Twitteranten: „Ein Mittagsschlaferl ist kein strafbares Verhalten.“

Ein Mittagsschlaferl ist kein strafbares Verhalten.
Polizei Wien

Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) rät Mahrer, sich noch intensiver mit den Problemen wohnungsloser Menschen zu beschäftigen – und sich „gleich nützlich“ zu machen. Er lädt ihn ein, einen Tag lang in einer Betreuungseinrichtung ehrenamtlich tätig zu sein. „Das hilft sicher mehr, als die Polizei mit einem Mittagsschlaf zu beschäftigen.“

Angesichts des Tadels gibt es eine Stellungnahme des Wiener ÖVP-Pressedienstes: Unter dem Motto „Hinschauen statt Wegschauen – Betroffene nicht links liegen lassen“ habe sich Mahrer „ein Bild von der Situation vor Ort“ gemacht. „Alkohol und Gewalt: Das zunehmende Problem mit Wohnsitzlosen, die meist aus anderen EU-Staaten nach Wien und insbesondere auf die Mariahilfer Straße kommen, um zu campieren und zu trinken, ist bekannt.“ Heinze habe ein Foto aufgenommen und „frei hinein“ interpretiert. „Hauptinhalt dieser politischen Interpretation war, dass Karl Mahrer (...) de facto unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen wurde. Dieser Anschuldigung der filmenden linken Politiker widerspricht Mahrer deutlich.“

Es ist nicht das erste Mal, dass der ÖVP-Politiker mit einem „Lokalaugenschein“ aufregt. Im Frühjahr hatte er auf dem Wiener Brunnenmarkt ein Video gedreht, das er auf Facebook veröffentlichte. Sein Befund: „Syrer, Afghanen, Araber haben die Macht übernommen.“ Dann ortete er ein Grätzl in Favoriten als „Brennpunkt“. Menschen, mit denen er geredet habe, seien verunsichert, hätten das Gefühl, „zur Minderheit im Viertel zu zählen“.

Es stellte sich heraus, dass zwei der besorgten Gesprächspartner Parteikollegen Mahrers waren – der Wiener ÖVP-Bezirksrat Daniel Soudek und der Vize-Bezirksobmann des ÖVP-Seniorenbundes im Bezirk.

Schon Mahrers Brunnenmarkt-Befund empörte auch Grünen-Justizministerin Alma Zadić. Eine Österreicher-Quote auf dem Markt sei eine „lächerliche Forderung“. Die Standler „verdienen Geld, zahlen Steuern, sind womöglich Wirtschaftskammermitglied“ – und Menschen, die etwas für unsere Gesellschaft leisten“. Es sei „ein Schlag in das Gesicht, ihnen zu sagen, dass sie nicht dazugehören“. Das sei „leider rassistisch“.