Verleihung am 4. November

Dunkel leuchtender Klang: Lutz Seiler erhält Georg-Büchner-Preis 2023

Lutz Seiler erhält eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum.
© Andreas Rottensteiner/TT

Als Student las Lutz Seiler in der DDR Georg Trakl. Es veränderte sein Leben. Nun bekommt er den Georg-Büchner-Preis.

Darmstadt – Im Februar 2008 las Lutz Seiler – wenige Monate davor wurde er in Klagenfurt mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet – aus seinen Gedichten im Literaturhaus am Inn. Noch während der Lesung dämmerte ihm, was er sich auf der Fahrt nach Tirol zu denken verbot: „Hier liegt Trakl“.

Für den jungen Seiler war die Lektüre der Verse Georg Trakls ein Erweckungserlebnis. Seiler, geboren 1963 in Thüringen, hatte in der DDR Baufacharbeiter gelernt. Nach 18 Monaten bei der Nationalen Volksarmee begann er ein Germanistikstudium – und als er auf die Gedichte Trakls stieß, auf „Der Herbst des Einsamen“ und „Grodek“, wusste er, warum. Die Verse brachten ihn um den Schlaf. „Das Lesen dieser Gedichte“, erinnerte er sich 2014 in einem Essay zu Trakls hundertstem Todestag, „hat ein Licht eingeschaltet in meinem Kopf“.

Im Innsbrucker Brennerarchiv, das sich mit dem Literaturhaus die Räumlichkeiten in einem Hochhaus am Inn teilt, liegt Trakls Nachlass. Das Bleistiftmanuskript von „Grodek“ – Trakls letztem, im ersten Herbst des großen Krieges, wenige Tage vor seinem Freitod verfasstem Gedicht – wird hier verwahrt. Für ein paar Sekunden konnte er das leicht fleckige, graue Blatt in Händen halten. „Es war“, so Seiler, „als hätte ich eine ziemlich lange Reise gemacht und wäre plötzlich angekommen.“

Lutz Seiler hat zu seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme gefunden: Melancholisch, dringlich, aufrichtig.
Begründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Lutz Seiler zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Die Liste der Auszeichnungen, die der 60-Jährige bislang erhalten hat, ist lang. Für seinen ersten Roman „Kruso“ erhielt er 2014 den Deutschen Buchpreis. Sein zweiter, „Stern 111“, wurde 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen erhielt Seiler den nur biennal vergebenen Bertolt-Brecht-Preis – und nun machte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung öffentlich, dass er im November auch den Georg-Büchner-Preis, die mit 50.000 Euro dotierte, renommierteste Literaturauszeichnung des Sprachraums, erhalten wird.

Geehrt werde ein Autor, heißt es in der Begründung, „der mit klangvollen Gedichtbänden begann, von dort zum Erzählen fand, stets aber ein klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker bleibt.“ Seiler habe „als Romancier und als Dichter zu seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme gefunden, melancholisch, dringlich, aufrichtig, von wunderbaren Echos aus einer langen literarischen Tradition“.

Im vergangenen Jahr ging der Büchner-Preis an die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar. Der bislang letzte österreichische Preisträger ist Clemens J. Setz, der 2021 ausgezeichnet wurde. (jole)