Regt an und regt auf: „Die Wut, die bleibt“ wütet gegen das Patriarchat
Regt auf und regt an: „Die Wut, die bleibt“ wütet bei den Salzburger Festspielen gegen das Patriarchat.
Salzburg – Die Erzählung beginnt mit „THE END“. Mit dem Ende des bisher gekannten Lebens und dem Anfang eines neuen Lebens ohne Mama. Johannes’ „Haben wir noch Salz“ – so ganz ohne Fragezeichen in die Welt geschickt – wird mit einem dumpfen Tusch beantwortet. Helene hat sich vom Balkon mehrere Stockwerke in die Tiefe gestürzt. Sie hinterlässt zwei kleine Buben, eine Teenagertochter, ihren Ehemann und die beste Freundin. Danach ist alles anders, so erzählt es Mareike Fallwickl in ihrem Buch „Die Wut, die bleibt“ von 2022. Mit dem Schock lassen auch Jorinde Dröse und Johanna Vater die gleichnamige Bühnenfassung des Stoffs starten. Sie liefern zum Ende der diesjährigen Festspielsaison in Salzburg ein Stück, das für Aufsehen sorgt. Am Freitag Abend hatte „Die Wut, die bleibt“, eine Koproduktion mit dem Schauspiel Hannover, Premiere im Salzburger Landestheater.
Bedacht wurde der Abend, um auch jetzt mit dem Ende zu beginnen, mit Standing Ovations – und mit mitunter verstörten Blicken. „Die Wut, die bleibt“ regt auf – und regt an, gerade weil es weibliche Wut ist, die hier gegen das Patriarchat wütet.
Davon überrascht wird Sarah (gespielt von Anja Herden), die nach dem Tod von Helene als Frau fürs Gröbste einspringt: Windeln wechseln, Haushalt schmeißen, Tränen trocknen. Dabei ist Sarah doch so unabhängig, eine erfolgreiche Romanautorin mit jungem Lover an ihrer Seite. In die Rolle der Mutter rutscht sie hinein. Und kommt da auch so schnell nicht wieder heraus. Johannes (bleibt blass: Max Landgrebe), Helenes Ehemann, und die Kinder brauchen sie doch.
Begleitet wird Sarah von Helene selbst, die als mit Teddybären bestückter Geist (Kostüm: Juliane Kalkowski) und Erzählerin das Stück am Ende zusammenhält – einer extrem wendigen Johanna Bantzer sei Dank.
Lola, 15 (auch einnehmend: Nellie Fischer-Benson), dagegen hat sich nach dem Verlust der Mutter endgültig radikalisiert. Sie begehrt auf gegen ein System, das Frauen kleinhält, das Frauen einengt, sie in Unabhängigkeit drängt und zur kostenlosen Care-Arbeit verdammt. Schon bald ist sie bereit, zuzuschlagen.
Damit beginnen die Probleme, auch auf der Bühne: Regisseurin Dröse hat sich entschlossen, die Gewaltszenen im Buch auf der Bühne als Tanz umzusetzen. Musik (ein Mix aus Klassik bis Rap) setzt ein, wogegen die Choreographie von Suzan Demircan dann aber reichlich uninspiriert wirkt. Da wäre mehr mehr gewesen.
Zumal der Rest des Stücks sich kaum Atempausen gönnt. Auf zwei Ebenen (Bühne: Katja Haß) wird sich verprügelt, versöhnt, verstritten und verteidigt. Die Verdichtung des Stoffs gibt das Tempo vor, am Ende hat es Dröse aber geschafft, die sprachliche Radikalität von Fallwickl (Lola konstatiert an einer Stelle: „Die Traurigkeit ist ein Arschloch.“) zwischen schnellen Schnitten zu bewahren.
Ja, „Die Wut, die bleibt“ kommt mit Wucht daher. Und nimmt ein. Wie viel Aktivismus das Theater verträgt, darüber wird – einmal mehr – zu diskutieren sein. Am Ende zeigt das Stück aber vor allem, dass es nicht nur Wut ist, die bleibt.
Die Wut, die bleibt. Landestheater Salzburg; bis 29. August, nächste Vorstellung: Montag, 19.30 Uhr.