Synthetische mRNA

Medizin-Nobelpreis für mRNA-Forschung: Revolutionäre Technolgie bei Impfungen

Dank der mRNA-Forschung war es überhaupt erst möglich, Impfstoffe gegen Covid schnell auf den Markt zu bringen.
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Die Forschung rund um die mRNA-Technologie hat durch die Corona-Technologie einen regelrechten Schub bekommen. Wenn das Wissen dazu aber nicht jahrzehntelang untersucht worden wäre, wäre das gar nicht möglich gewesen.

Wien/Mainz/Washington – Binnen weniger Monate haben Biotechnologie-Unternehmen wie Biontech (Deutschland) und Moderna (USA) Corona-Impfstoffe mithilfe von mRNA-Technologie entwickelt, für die Katalin Karikó und Drew Weissman am Montag der Medizin-Nobelpreis zugesprochen wurde. Doch die dahinter steckende Forschungsarbeit für solche mRNA-Impfstoffe dauerte mehrere Jahrzehnte und sollte ganz anderen Zielen als antiviralen Impfstoffen dienen.

Das Prinzip: Man bringt die direkte Bauanleitung (synthetisch hergestellte RNA) für immunogen wirksame Proteine per Impfung in Zellen. Diese produzieren die Proteine und rufen eine Abwehrreaktion hervor. Eine der ersten, die sich mit der Technik beschäftigte, war die ursprünglich aus Ungarn stammende Katalin Kariko an der Universität von Pennsylvania, später Senior Vice President von Biontech (Mainz). Sie wollte mRNA als Therapieform entwickeln: Durch das Einbringen von mRNA in die Zellen von Patienten sollten diese beispielsweise krankheitsbedingt mangelnde Enzyme, Wachstumsfaktoren zur Reparatur von geschädigtem Gewebe oder eben Antigene zum Auslösen von Immunreaktionen zu produzieren beginnen.

Schwieriger Anfang der Forschung

Die Wissenschafterin holte sich bei ihren Ansuchen um Forschungsgelder eine Absage nach der anderen. 1990 hatten zwar Wissenschafter der Universität Wisconsin erstmals an Labormäusen die prinzipielle Möglichkeit einer mRNA-Therapie beweisen können, doch die grundsätzlichen Probleme blieben: mRNA ist jene Abschrift von DNA-Abschnitten, die in den Ribosomen der Zellen als Anleitung für den Zusammenbau von Proteinen dient. Synthetisch hergestellte RNA ist aber "fremd". Im Falle des Einbringens in einen Organismus erkennt das Immunsystem praktisch sofort diese Erbsubstanz-Bestandteile und beseitigt sie. Das Abwehrsystem ist darauf trainiert, "fremde" Erbsubstanz zu "riechen" und zu beseitigen. Darauf basiert die Abwehr von Krankheitserregern.

Biochemikerin Katalin Kariko und Biochemiker Drew Weissman wurden für ihre jahrzehntelange Forschung rund um mRNA-Technologien mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
© JUAN PABLO RICO

Kariko und ihr Immunologie-Kollege Drew Weissman (Boston University) entdeckten schließlich einen Ausweg: synthetische mRNA, bei der einer der vier Bausteine (normalerweise Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil) durch ein Pseudouridin ersetzt wurde. Das führte zu einer stark verminderten Immunantwort auf die "fremde" mRNA. Weissman und Co-Autoren berichteten darüber beispielsweise auch im "Journal of Experimental Medicine" (Mai 2018).

Die größte Hürde für die Anwendung der mRNA-Technologie ist aber die mangelnde Stabilität der RNA-Teile in den Zellen selbst. Im Zuge der Produktion von Proteinen soll mRNA den Ribosomen die Anleitung für den Bau von Proteinen liefern – doch naturgemäß immer nur für einen bestimmten Zeitraum. Nuclease-Enzyme bauen die RNA deshalb wieder ab, was die Wirksamkeit einer solchen Therapie oder Impfung unmöglich machen oder drastisch reduzieren kann. Die Halbwertszeit von mRNA in Zellen kann Minuten, aber auch nur wenige Stunden betragen.

Jahrzehntelange Forschung brachte schließlich Durchbruch

Jahrelange Forschung hat hier die entsprechende Fortschritte geliefert. Der aus Österreich stammende Co-Gründer von Biontech, Christoph Huber, erklärte im Jahr 2020, dass man es geschafft habe, mRNA eine Stabilität von bis zu zwei Wochen zu geben. Dahinter stecken unzählige Modifikations-Experimente an der mRNA. Auch für die Covid-19-Vakzine besteht sie am Beginn aus einer "Kappe", dann folgt ein nicht für Protein kodierender Abschnitt. Schließlich ist die Bauanleitung für das SARS-CoV-2-Spike-Protein angehängt. Es folgt wieder eine nicht kodierende Region und schließlich ein "Schwanz" als Abschluss.

"Synthetische mRNA hat sich zu einem wirksamen Werkzeug für den Transfer von genetischer Information entwickelt. Untersucht wird sie für eine ganze Reihe von therapeutischen Anwendungen. Viele dieser Anwendungen benötigen aber ein verlängertes Vorhandensein von mRNA in den Zellen, um die Bioverfügbarkeit des kodierten Proteins zu verbessern", schrieb Ugur Sahin, Co-Gründer von Biontech und mit seiner Frau Özlem Türeci gefeierter SARS-CoV-2-Impfstoffentwickler, in "Molecular Therapy" (April 2019).

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Nicht zuletzt Katalin Karikó, die jahrelang bei Biontech beschäftigt war ist es zu verdanken, dass BioNtech-CEO Ugur Sahin (im Bild mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz) den ersten Corona-Impfstoff auf den Markt bringen konnte.
© APA/AFP/ANDRE PAIN

In der Publikation stellte Sahin dar, wie man durch Modifikation synthetischer mRNA an der zweiten nicht kodierenden Region die Produktion der gewünschten Proteine durch die Zellen – eben nach Bauanleitung durch die künstlich zugeführte mRNA – verbessern kann. Doch auch Modifikationen an der "Kappe" und der ersten nicht kodierenden Region der mRNA sind für das Funktionieren des Prinzips entscheidend.

Die Bauanleitung für die Protein-Produktion soll eben so stabil sein, dass sie wieder und wieder verwendet wird. Das bringt eine verbesserte Expression der gewünschten Eiweiße, im Fall der Vakzine eben jener SARS-CoV-2-Spike-Antigene, welche die schützende Immunantwort auf Trab bringen sollen.

Covid war gar nicht primäres Forschungsfeld

Was schließlich ebenfalls wesentlich ist: Sowohl Moderna als auch Biontech setzten bei ihren Vakzinen auf eine Verpackung der mRNA in Fettkügelchen (Liposome), die auch zu einer vermehrten Aufnahme durch dendritische (Antigen-präsentierende) Zellen nach der Impfung führen soll. Das verstärkt den immunologischen Effekt. Biontech verlässt sich hier auf die Technologie des Klosterneuburger Unternehmens Polymun.

Dabei sind die SARS-CoV-2-Impfstoffe, zumindest was Biontech betrifft, gar nicht das primäre Ziel der Forschungsarbeiten gewesen. Das Unternehmen entwickelte die Technologie-Plattform mit mehreren Lizenzübernahmen zum Beispiel für therapeutische Krebsvakzine. Die Wissenschafter erhoffen sich einen Durchbruch. Das deutsche Unternehmen hat hier bereits vielversprechende Daten aus klinischen Studien bei Melanom-Patienten (Schwarzer Hautkrebs) vorzuweisen. Die Entwicklung der Krebsvakzine ist allerdings ein Langzeitprojekt. Die Feuerprobe für das Funktionieren der dahinter stehenden Technologie, eben der mRNA-Plattformen, fand aber bereits mit den SARS-CoV-2-Vakzinen statt. (APA)

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