Herbert Lackner dokumentiert: Ein Kampf gegen Schmutz, Schund und die Moderne
Herbert Lackner dokumentiert anhand von Kulturkämpfen eine politische Kulturgeschichte.
Wien – Österreich erlebte im Jahr 1986 das Jahr des Umbruchs. Kurt Waldheim wurde Bundespräsident, Hans Hermann Groër Wiener Erzbischof, Jörg Haider FPÖ-Obmann und Claus Peymann Direktor am Burgtheater. Ein antiaufklärerischer Geist erwachte erneut und löste einen Kulturkampf aus – kenntlich gemacht durch ein Theaterstück. Thomas Bernhards Stück „Heldenplatz“ spaltete das Land. Politiker und Kirchenmänner stimmten noch vor der Uraufführung des Stücks an der Burg in den Chor der Empörten ein. Wenige Wochen vor der Premiere erschien erstmals die Tageszeitung Der Standard. Und das liberale Blatt machte sich mit dem Boulevard gemein und rief indirekt zur Besetzung der Bühne auf. Österreich sah sich an frühere Zeiten erinnert. Der „Heldenplatz“ wurde zum größten Theatererfolg in der Zweiten Republik. Das Land bemühte sich zugleich redlich, „die größtmögliche Übereinstimmung der Wirklichkeit mit Bernhards grotesken Texten herbeizuführen“ (Süddeutsche Zeitung).
Der langjährige Journalist Herbert Lackner liefert mit seinem neuen Buch „Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt“ in 18 Kapiteln eine höchst spannende und kurzweilige Kulturgeschichte des Landes.
Eine Geschichte der Intellektuellenfeindlichkeit, der Prüderie und des Antisemitismus. Während im Vorfeld des „Heldenplatzes“ zwar Drohbriefe geschrieben und Mist vor dem Theater abgeladen wurde und der junge Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen Krakeelern die Premiere störte, war es 1921 doch hitziger: Bei der Premiere von Arthur Schnitzlers „Reigen“ kam zu antisemitischen Exzessen in Wien. Der Staat stellte sich gegen die Kunst und auf die Seite der Rechten. In der christlich-sozialen Reichspost wurde gegen die „Bordellprologe des Juden Schnitzler“ hergezogen. Die Kräfte, die gegen Schnitzler aufmarschierten, waren auch im Kampf gegen Hugo Bettauer aktiv. Sein Roman „Die Stadt ohne Juden“ wurde zum Bestseller. Lackner schildert anhand von Zeitungsartikeln und Tagebucheintragungen, wie sich die Stimmung aufheizte. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit dem Mord an Bettauer.
Sachbuch
Herbert Lackner: Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt. Ueberreuter, 208 Seiten, 26 Euro.
Ein heilsamer Schock blieb aus. Kirche und die Christlichsozialen sahen immer mehr den Alltag der „braven Bürger und des gottesfürchtigen Landvolkes“ in Gefahr. Das „Schmutz- und Schundgesetz“ sollte verschärft werden. Auftritte wie jener der „Halbnegerin“ Josephine Baker sollte es nicht mehr geben. Stefan Zweig und viele Künstler probten den Aufstand.
Mit Beginn der Ära Kreisky sollte die Moderne Einzug halten. Das „Schmutz- und Schundgesetz“ wurde 1972 aufgehoben. 1983 trat Kreisky zurück. 1986 erlebte Österreich das Jahr des Umbruchs.