Ex-Linke Chefin Sahra Wagenknecht gründet eigene Partei
Was lange schon in der Berliner Politikszene vermutet wurde ist nun Gewissheit. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken Sahra Wagenknecht trennt sich von ihrer Partei und gründet eine eigene Liste. Im Jänner soll die Parteigründung anstehen. Bereits am Montag will die kontroverse Politikerin ihre Pläne präsentieren.
Berlin – Sahra Wagenknecht will mit einem kleinen Team zum Jahreswechsel 2024 eine eigene Partei gründen. Die Partei soll bei der Europawahl im Juni antreten. Die bisherige Co-Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, sagte, die Gruppe sei bereits aus der Linkspartei ausgetreten. "Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen." Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, bestätigte, dass zehn der 38 Abgeordnete aus der Partei ausgetreten sind.
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Die Abgeordneten wollen zugleich Mitglied der Fraktion bleiben. "Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber entscheiden", erklärte Bartsch am Montag in Berlin. Den Schritt der zehn Abgeordneten nannte er "unverantwortlich und inakzeptabel".
Die Ampel-Regierung sei trotz zahlreicher Krisen in der Welt planlos, und Deutschland habe eine absurd schlechte Infrastruktur. "So wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen", hatte Wagenknecht zuvor am Montag in Berlin gesagt. Deutschland drohe ein Wohlstandsverlust. Das Land müsse weg von einem blinden Öko-Kurs, der Mindestlohn müsse deutlich angehoben werden.
Zur Lösung des Nahost-Konflikts forderte Wagenknecht, Interessen der Palästinenser zu berücksichtigen und von einer Bodenoffensive gegen den Gaza-Streifen abzusehen. Israel habe selbstverständlich das Recht, sich gegen die Angriffe der Terrormiliz Hamas zu verteidigen, sagte Wagenknecht am Montag in Berlin. Zugleich fügte sie hinzu: "Gaza ist ein Freiluftgefängnis seit vielen Jahren." Auf Nachfrage erläuterte sie die Aussage zum "Freiluftgefängnis" so: Die Menschen könnten den Gaza-Streifen nicht verlassen und dieser sei wirtschaftlich nicht überlebensfähig, sondern auf Hilfe von außen angewiesen.
Parteigründung zeichnete sich ab
Wagenknecht hat immer wieder gesagt, sie halte eine neue Partei für wünschenswert und nötig. Eine öffentliche Festlegung scheute die 54-Jährige aber bisher. Mit der Linken hat sie sich in wichtigen Punkten wie der Migrations- und der Klimapolitik inhaltlich längst entzweit. Öffentlich sagte Wagenknecht zuletzt, ihre Verbindung mit der Linken sei für sie abgehakt. Gegen sie läuft ein Parteiausschlussverfahren.
Parteichefin Wissler sagte am Mittwochabend in den ARD –„Tagesthemen“, sie halte die Gründung einer Konkurrenzpartei für völlig verantwortungslos. „Angesichts der verheerenden Politik der Ampel“ (Koalition aus SPD, Grünen, FDP) müsse eine linke Bundestagsabgeordnete Opposition gegen die Regierung machen und Alternativen vorlegen.
Linke Überläufer sollen Mandat niederlegen
Vizechefin Nicole Gohlke forderte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur alle, die in einem solchen Verein am Aufbau eines anderen Parteiprojekts arbeiten, auf, „über die Linke erworbene Mandate niederzulegen“. „Das wäre ein Gebot des Anstands, denn die Menschen haben die Linke gewählt.“ Zudem schließe sich die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Linken und in einem Verein zum Aufbau eines anderen Parteienprojekts politisch aus.
Die mögliche Spaltung ist vor allem für die Linken-Bundestagsfraktion problematisch. Sie hat nur noch 38 Abgeordnete. Träten Wagenknecht und ihre acht bis zwölf Unterstützer aus, würde es für die Linke nicht mehr für eine eigene Fraktion reichen. Man könnte nur noch als Gruppe weiter machen - oder eben als zwei konkurrierende Gruppen. Ohne Fraktionsstatus ginge finanzielle staatliche Unterstützung verloren, es gäbe weniger Redezeit und weniger parlamentarische Rechte.
Das könnte ein Grund sein, warum Wagenknecht zunächst den Verein auf den Weg bringt: Möglicherweise wollen sie und ihre Unterstützer bis zur Parteigründung noch in der Fraktion bleiben, mit dem Argument, da stünden auch eine Menge Mitarbeiterjobs auf dem Spiel und die könnte man so noch eine Weile retten. Ob die Hängepartie weiter politisch durchzuhalten ist, scheint aber sehr fraglich. Wissler sagte in der ARD, wenn es die Fraktion nicht mehr gebe, dann sei das allein die Verantwortung von Wagenknecht und ihrer Unterstützer.
Neuer Partei werden gute Chancen zugerechnet
Die mögliche Parteigründung weckt so großes Interesse, weil sie die politische Landschaft verschieben könnte. Demoskopinnen und Demoskopen räumen einer Wagenknecht-Partei ein vergleichsweise hohes Potenzial ein. In einer YouGov-Umfrage hatte Ende September fast jeder dritte befragte Wahlberechtigte (29 Prozent) im Osten des Landes angegeben, sich grundsätzlich vorstellen zu können, eine neue Partei unter Führung Wagenknechts zu wählen. Im Westen waren es 19 Prozent.
Solche Umfragen sagen aber wenig darüber, wie viele Menschen sich tatsächlich so entscheiden würden. Auch ist bisher nicht völlig klar, wofür die Partei stehen soll. Wagenknecht hat sich als scharfe Kritikerin der Ukraine-Politik der deutschen Regierung und der Energiesanktionen gegen Russland positioniert. Sie ist für den Import von billigem Erdgas und gegen allzu strikte Klimaschutzpolitik. Sie plädiert zudem für eine Begrenzung der Migration. Die Grünen hat sie wiederholt als die gefährlichste Partei bezeichnet.
Partei könnte auch im Wählerteich der AfD fischen
Politologinnen und Politologen gehen davon aus, dass ihr Projekt auch der AfD Stimmen streitig machen könnte. Die Rechtspartei hofft darauf, im kommenden Jahr in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erstmals in Deutschland Landtagswahlen zu gewinnen. Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke nahm Wagenknechts Schritt jedenfalls durchaus zur Kenntnis. Der "Name 'Bündnis Sahra Wagenknecht' irritiert, wirft Fragen auf", schrieb Höcke auf Twitter (X). "Drückt er Selbstbewusstsein aus oder entlädt sich hier eine narzisstische Störung?"
Wagenknecht war über Jahrzehnte einer der profiliertesten Köpfe der Linken. Ihre Noch-Partei will nun kämpfen. Der frühere Parteichef Bernd Riexinger twitterte: "Für Die Linke ist es eine Befreiung. Unsere Wähler:innen wissen nun endlich wieder wofür Die Linke steht und was sie für sie macht." (APA)