Machtwechsel in Polen: Parlament nominiert Tusk zum künftigen Regierungschef
Donald Tusk wird der neue Ministerpräsident Polens: Das Parlament stimmte am Montagabend für den bisherigen Oppositionsführer und machte damit den Weg für einen Richtungswechsel frei.
Warschau – Polens Parlament hat den früheren Oppositionsführer Donald Tusk zum künftigen Regierungschef bestimmt. Für den Chef der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) stimmten am Montag 248 der 449 anwesenden Abgeordneten. Zuvor war der amtierende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit seinem neuen Kabinett im Parlament gescheitert. In einer Vertrauensabstimmung votierten am Montag nur 190 von 456 Abgeordneten für Morawieckis nationalkonservative PiS-Regierung. 266 dagegen.
Morawiecki nutzte seinen letzten Auftritt als Regierungschef für Kritik an Tusk. Dessen liberale Politik als Regierungschef von 2007 bis 2014 habe Polen ausländischen Interessen unterworfen und die Wirtschaft belastet, sagte Morawiecki. Der rechtskonservative Politiker entwarf in seiner Rede die Vision eines Polens, das zum "Land gut bezahlter Spezialisten" werde und einen "Lebensstandard auf dem Niveau Westeuropas, ohne die dortigen Fehler zu wiederholen" habe.
Eine Abgeordnete von Tusks Bürgerkoalition (KO) stand als Zeichen des Protests mit dem Rücken zu Morawiecki während dessen Rede. Tusk kommentierte den Schwanengesang des PiS-Regierungschefs auf der Plattform X (vormals Twitter) mit folgenden Worten: "Auf die Plätze, fertig, los! ("Ready, steady, go!"). Der erste demokratisch gewählte Präsident Polens nach dem Fall des Kommunismus, der Gewerkschaftsführer und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, war im Sejm anwesend und erhielt stehende Ovationen der Opposition. Der 80-Jährige trug einen Pullover mit der Aufschrift "Verfassung". Damit äußern Gegner der Regierungspartei PiS ihre Kritik an der Herrschaft der Partei, die sie als demokratischen Rückfall sehen.
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Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober hatten drei proeuropäische Parteien der bisherigen Opposition unter Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk eine klare Mehrheit von 248 der insgesamt 460 Sitze im Sejm errungen. Ein Koalitionsvertrag ist bereits unterschrieben. Die PiS erhielt nur 194 Sitze und hat keinen Koalitionspartner.
Trotz dieser Mehrheitsverhältnisse hatte Präsident Andrzej Duda, der aus den Reihen der PiS stammt, Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt und dessen Kabinett Ende November vereidigt. Die Verfassung sieht vor, dass der Regierungschef innerhalb von 14 Tagen nach der Vereidigung die Vertrauensfrage im Parlament stellen muss. Erst wenn er scheitert, ist das Parlament am Zug und kann aus seiner Mehrheit heraus eine Regierung bestimmen.
Tusk hat angekündigt, dass er am Dienstag eine Regierungserklärung abgeben und seinerseits die Vertrauensfrage stellen will. Aus der Präsidentschaftskanzlei hieß es dazu am Samstag, Präsident Duda beabsichtige "keine Verzögerung". Die neue Regierung könne daher am Mittwochvormittag vereidigt werden.
Tusk könnte somit bereits am Donnerstag am EU-Gipfel in Brüssel teilnehmen. Der langjährige Regierungschef (2007-14), EU-Ratspräsident (2014-19) und Präsident der konservativen Europäischen Volkspartei (2019-22) hat versprochen, die polnische Position in Europa "wieder aufbauen" zu wollen. „Wenn jemand Polen zurück auf den demokratischen Weg der EU führen kann, dann ist es Tusk", sagte ein hochrangiger EU-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir vertrauen auf seine Führung."
Mit Spannung wird erwartet, wie sich unter Tusk das Verhältnis der bisherigen engen EU-Verbündeten Polen und Ungarn entwickelt. Das ungarische Onlineportal nepszava.hu schrieb am Montag, dass sich das Verhältnis abkühlen werde. Es verwies auf Aussagen von Tusk, wonach Polen einer ungarischen Regierung gegenüberstehe, die sich offen auf die Seite der Russen gestellt habe. Es werde sich zeigen, was er (Tusk) in einer solchen Situation unternehmen könne. Tusk wolle versuchen, mit dem ungarischen Premier zu verhandeln. Er glaube jedoch nicht, dass er angesichts dessen engen Beziehungen zu Russland und Putin den Standpunkt von Orbán werde ändern können. (APA)
Chance für Tusk