Kultur Österreich

Zeitloses "Warten auf Godot" mit Peymann in der Josefstadt

Marcus Blum (Estragon) und Bernhard Schir (Wladimir) warten auf Godot
© APA

"Warten auf Godot" in der Regie von Claus Peymann im Theater in der Josefstadt: Das ist zunächst einmal ein ikonischer Bühnentext, inszeniert von einer lebenden Theaterlegende, die bei der Uraufführung des Stücks 15 Jahre alt war und nun in der Spätphase ihres Schaffens nach Ionesco mit Samuel Beckett einen weiteren Klassiker des Absurden für sich entdeckt. Hat sich das Warten gelohnt? Für den Regisseur jedenfalls. Er genoss am Donnerstag den Applaus wie einen Jungbrunnen.

Und für das Publikum? Es war von vornherein klar, dass von Peymann, diesem großen Diener der Dramatiker und ihrer Texte, keine verwegene Neudeutung zu erwarten war, keine Endzeitparabel in Zeiten der Klimakatastrophe und keine Beweisführung dazu, dass Warten letztlich hoffnungslos und Handeln der einzige Ausweg aus der allgemeinen Verzagtheit angesichts übergroßer Probleme ist. Nach der Pause dieses mit über zweieinhalb Stunden deutlich zu lang geratenen Abends zeigt Peymann kurz, dass er selbstverständlich auch anders könnte. Da wird Kriegslärm eingespielt, hört man Hubschrauber und Detonationen und sieht den Schein von Explosionen. Mit einem Fingerschnippen stellt Wladimir das ab und licht- und tontechnisch wieder die Ausgangssituation her. Und die heißt: Theater. Wir spielen Leben. Wir spielen Warten.

Bühnenbildner Paul Lerchbaumer hat einen Raum ersonnen, der sofort an die streng geometrischen Plätze auf den Bildern von Giorgio de Chirico erinnert. Becketts Landstraße liegt zwischen zwei weißen Fassadenstreifen mit je drei Durchgängen und ist offenbar schon seit längerem verkehrsberuhigt: Fast genau auf dem Mittelstreifen wächst der berühmte kahle Baum, der wie in so vielen Inszenierungen davor auch hier mehr an eine Kunstinstallation denn an einen Naturüberrest erinnert. Auch die übrige Natur ist künstlich: Sonne, Mond und Sterne könnten aus einem Märchenstück stammen. Realistisch ist hier nichts, bloß das Papier, mit dem die Fassaden bespannt sind, und die von Lucky in einem furiosen Auftritt zerrissen werden.

Seinem Schicksal entkommt freilich auch er nicht, doch Lucky ist der Einzige, der wirklich aufbegehrt. Nico Dorigatti, 22-jähriger Reinhardt-Seminarist aus Wiener Neustadt, macht aus der kleinen Rolle etwas Großes, ein Monument menschlichen Leids, eine alabasterfarbene Statue, die zur Sprechmaschine wird und dafür zu Recht den einzigen Szenenapplaus des Abends erhält. Mit dem Pozzo des Stefan Jürgens bildet er ein kongeniales Paar, das dem parabelhaften Herr-Knecht-Verhältnis unterhaltsame wie bedrückende Seiten abgewinnt: Ein rot gekleideter Zirkusdirektor mit seiner Ein-Mann-Menagerie auf Durchreise.

Und die beiden Hauptrollen, Wladimir und Estragon? Peymann lässt Bernhard Schir und Marcus Bluhm zunächst ganz in der Tradition ihrer Rollen agieren - ein trauriger Clown, ganz an die Tramp-Darstellungen von Charlie Chaplin erinnernd, und sein weinerlicher Kompagnon, in tragikomischer, unauflöslicher Verbindung aneinander geschmiedet. Lange dauert es, bis sie sich von den klassischen, seit Jahrzehnten auf allen Bühnen der Welt zu hörenden Dialogzeilen lösen können und ein wenig eigenes Bühnenleben gewinnen. Aus Fleisch und Blut werden sie nie, sollen sie wohl auch nicht, denn hier ist das Leben ein Spiel, in dem es keine Gewinner und Verlierer geben kann. Herr Godot wird ebenso wenig kommen wie die Erlösung. Und zum Aufhängen wird der Baum stets zu klein oder der Strick zu brüchig sein.

Doch auch wenn Schir und Bluhm hier kein neues Kapitel der Rezeptionsgeschichte schreiben, schließt man sie allmählich ins Herz. Sie sind keine Falschspieler und beherrschen keine Taschenspielertricks. Dennoch schaffen sie es, dass man den üblen Geruch von Pozzos Füßen bis in die zehnte Reihe wahrzunehmen scheint, und wenn es zu langweilig zu werden droht, packt Wladimir eine kleine Hitler-Parodie aus. Ist das Leben ein Spiel, kann auch Godots Botenjunge eine Handpuppe sein und können Vogelstimmen vom Tonband die Frage aufwerfen, ob hier neue Hoffnung aufkeimen darf oder die Technik auch die Natur übernimmt.

Der Vorhang zu und alle Fragen offen? Bei Peymann ist es natürlich auch für Beckett ein Brecht-Vorhang, der am Ende zugezogen wird. Schwarz gefärbt und halb durchsichtig. Doch kein Grund für Betrübnis. Das Warten hat ein Ende. Und Peymann strahlt.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

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