Vom Genuss zur Gefahr: „Jetzt kommen die Tage des ritualisierten Alkoholkonsums“
30.000 Tiroler trinken so viel Alkohol, dass sie krank sind, mindestens 60.000 Menschen sind alkoholsuchtgefährdet. Vor allem jetzt, zu Weihnachten und Silvester, sind die Verlockungen noch größer. Hilfe bekommen Betroffene und Angehörige bei der Sucht-Hotline.
Hall – Zuerst Anstoßen mit den Kollegen, dann noch auf einen Glühwein zum Christkindlmarkt und auf der Weihnachtsfeier werden ohnehin die Hemmungen, nicht zu viel zu trinken, fallen gelassen. Für Menschen, für die Alkohol ein Problem ist, hat die schwierigste Zeit im Jahr begonnen. „Jetzt kommen die Tage und Wochen des anlassbezogenen, ritualisierten Alkoholkonsums“, sagt Christian Haring, Obmann der Suchthilfe Tirol. Das bedeutet: Rund um Weihnachten und Silvester wird mehr getrunken als sonst – weil man es immer schon so getan hat.
Derzeit sind in Tirol rund 30.000 Menschen alkoholkrank, mindestens 60.000 Menschen sind alkoholsuchtgefährdet. Die Suchthilfe Tirol hat in diesem Jahr bisher 2500 Klienten betreut, und mehr als jeder Dritte davon ist alkoholabhängig. In der Regel dauert die Betreuung länger als ein Jahr, „damit wir mit ihnen den ganzen Jahreskreis abbilden können. Fasching, Geburtstage, Weihnachten und Silvester sind krisenhafte Zeiten für Menschen, die dazu neigen, in übliche verhalten zurückzufallen", erklärt Haring. In der Familie und ihrem Umfeld würden die Betroffenen oft auf Unverständnis treffen. „Angehörige und Freunde verstehen nicht die Dimension des Alkoholproblems und laden zu einem ‚Glaserl‘ zu Weihnachten oder zum Jahreswechsel ein, ohne zu ahnen, welche Folgen dadurch bei einem alkoholkranken Menschen ausgelöst werden können,“ so Psychiater Christian Haring, Medizinischer Geschäftsführer der Tirol Kliniken und Obmann des Vereins Suchthilfe Tirol.
Der Psychosoziale Krisendienst Tirol, der 2020 als Pilotprojekt gestartet und 2022 in den Regelbetrieb übernommen wurde, ist während und nach den Feiertagen täglich erreichbar. „Personen, die in Momenten der Verletzlichkeit und in einer Krise – wenn sie sich schwach fühlen – Hilfe und Unterstützung suchen, offenbaren eine beeindruckende Stärke. Besonders wenn Emotionen überkochen oder es den Anschein hat, dass es keinen Ausweg aus einer Situation gibt, erweist sich eine professionelle Anlaufstelle wie der Krisendienst als entscheidend“, berichtet Manfred Deiser, Koordinator des Psychosozialen Krisendienstes in Tirol. Heuer habe man 5300 Anrufe gezählt, 5000 davon wegen psychischer Belastungen. „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl gestiegen", sagt Deiser. Wird im Gespräch klar, dass der Betroffene akut Hilfe braucht, können man oft in der gleichen oder spätestens in der nächsten Woche ein ambulantes Krisengespräch anbieten. Bei niedergelassenen Psychotherapeuten müsse man hingegen derzeit drei bis sechs Monate warten, gibt Deiser zu bedenken.
Haring appelliert an die Menschen im Umfeld von Menschen, die Probleme mit Alkohol haben, diese nicht zu verleiten, zu Alkohol einladen und schon gar nicht zu überreden. Und den Betroffenen gibt er mit: „Reden statt trinken."
Die Sucht-Hotline ist täglich von 8 bis 20 Uhr telefonisch unter der Nummer 0800 400 120 erreichbar. (TT)