Caritas-Direktorin Rathgeb: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch
Für Elisabeth Rathgeb wird Weihnachten durch Menschen Realität, die Not sehen und handeln. Das erzählt sie in ihrer Geschichte zum Advent.
Innsbruck –Kürzlich hat mir jemand ein Los geschenkt. Es stammt aus dem Jahr 1925 und verspricht zehn Haupttreffer im Wert von 300 Millionen Kronen im Rahmen der ersten Tiroler „Karitas-Effekten-Lotterie“.
Zu gewinnen gab es als Haupttreffer Baumaterial für ein Einfamilienhaus, eine Braut-Ausstattung, landwirtschaftliche Maschinen, Kleider- und Wäscheausstattung, erstklassige Schreibmaschinen und versenkbare Nähmaschinen sowie ein Pferd oder eine Milchkuh. Insgesamt 500.000 Lose und 53.000 Treffer. Also ein richtig großes Ding, das der Tiroler Karitas-Verband damals zugunsten der Armen- und Kinderfürsorge organisiert hat.
Wer das große Los gezogen hat, weiß ich nicht. Aber das Motto ist dasselbe geblieben: Not sehen und handeln. Für alle, die in der Lebens-Lotterie nicht zu den Gewinnern zählen.
Im Rahmen unseres 120-jährigen Caritas-Jubiläums heuer habe ich noch viele solcher Geschichten entdeckt: Von den Straßenkindern in Innsbruck, die 1903 der Anlass für die Gründung des „Karitasverbandes Barmherzigkeit“ waren, über die Bahnhofsmission ab 1911 bis zu den Wohnbauprojekten nach dem Zweiten Weltkrieg auf kirchlichen Baugründen. Sie sind immer ein Spiegelbild der Nöte ihrer Zeit.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Baumaterialien und Kartoffeln gesammelt, um die Wohnungslosigkeit und den Hunger zu bekämpfen. Die Soziale Frauenschule bildete die ersten Familienhelferinnen aus, und die SOS-Rufe motivierten zur Hilfe für Menschen, die von Schicksalsschlägen betroffen waren.
In den 70er-Jahren war es dann schon möglich, von Tirol aus Hilfe für Afrika zu organisieren:
Die große Hungerkatastrophe 1973 in der Sahelzone bewegte die Tiroler und Tirolerinnen – vielleicht, weil die Erinnerung an den Hunger im eigenen Land noch so frisch war.
Und so schließt sich der Kreis: Heute unterstützen wir in den Projekten in Mali und Burkina Faso viele Dinge, die es vor fast 100 Jahren bei uns in der Lotterie zu gewinnen gab. Die Anschaffung von Haustieren, um die Ernährung zu sichern. Nähmaschinen und Computer, um ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Aber natürlich gehören auch Brunnenbau und Wasserversorgung, Bildung und Gesundheitsprojekte dazu.
Und bei uns in Tirol? Auch 2023 gibt es viele gute Geschichten zu erzählen.
Nicht, weil alles in Butter wäre. Am Anfang steht immer eine Not. Aber weil es Menschen gibt, die hinschauen und helfen. Heuer war es die große Teuerungswelle bei Energie, Mieten und Lebensmittelpreisen, die viele Menschen an die Grenzen bringt. Am Jahresanfang habe ich mir große Sorgen gemacht, wie wir hier zielgerichtet helfen können. Aber dann kam – neben den Landes- und Bundesförderungen – eine sehr großzügige Unterstützung für den Wärmefonds durch die Diözese Innsbruck und das Stift Wilten. Benefizkonzerte, Vernissagen und das Laufwunder mit 3000 hochmotivierten Schülern und Schülerinnen haben auch beigesteuert.
Und die 1288 Haussammler und Haussammlerinnen waren auch wieder im Dienst der guten Sache unterwegs. Dieses vielfältige Netzwerk der Hilfsbereitschaft ist es, das mich immer wieder beeindruckt, berührt und ermutigt: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
So wird auch Weihnachten Realität: durch Menschen, die Not sehen und handeln. Und damit eine Geschichte der Solidarität und des Teilens schreiben. Damit mehr Licht, mehr Gerechtigkeit und mehr Frieden in diese krisengebeutelte Welt kommt. Einfach mehr Liebe. Für uns alle.
Verbunden mit einem großen Danke wünsche ich Ihnen frohe und gesegnete Weihnachten.