Tiroler Forscher treiben Eis aus schwerem Wasser „Frust“ aus
Innsbrucker Wissenschafter beschreiben nun Möglichkeiten, um mehr Ordnung in „frustrierte Eiskristalle“ zu bringen. „Frustriert“ seien sie deshalb, weil sie sich wegen der Witterung nicht so orientieren können, wie sie wollen.
Innsbruck, Wien – Wenn sich Wasserstoffatome im Eis eigentlich in die gleiche Richtung orientieren wollen, ihnen dies die frostigen äußeren Umstände aber verwehren, spricht die Wissenschaft von „frustrierten Eiskristallen“. Innsbrucker Forscher haben es Kristallen aus Schwerem Wasser nun deutlich erleichtert, diesen Frust abzubauen. Im Fachblatt PNAS Nexus zeigen sie, wie man mit hohem Druck und dem Einbringen von Zusätzen für mehr Ordnung sorgt.
Das Team um Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck arbeitet sich seit einigen Jahren durch die vielfältigen Erscheinungsformen, die Eis annehmen kann. Unter Forschern hat „normales“ Eis nämlich nicht ohne Grund den Namen „Eis I“, hat man doch bisher bereits zwanzig verschiedene Eis-Erscheinungsformen nachgewiesen, heißt es am Dienstag in einer Aussendung. Die Tiroler Forscher konnten zum Beispiel im Jahr 2021 mit der Charakterisierung von „Eis XIX“ im Fachjournal Nature Communications aufwarten.
Hoher Druck erforderlich
Damit sich aber exotische Varianten manifestieren, braucht es besondere Umstände wie sehr hohen Druck oder ein Entstehen in bestimmten sehr niedrigen Temperaturbereichen. Gemeinsam ist den verschiedenen Spielarten ihre Kristallstruktur und die damit einhergehende Ordnung der Atome. Allerdings ordnen sich beim uns landläufig bekannten Eis lediglich die Sauerstoffatome, während sich die Wasserstoffatome eine gewisse Beweglichkeit erhalten – also ungeordnet bleiben. Das erlaubt es beispielsweise aus „Eis I“ aufgebauten Gletschern auch langsam zu fließen.
„Diese Eigenschaften ändern sich allerdings, sobald die Wasserstoffatome sich ordnen und nur in eine Richtung zeigen. Das Eis wird spröde, isoliert elektrische Ladungen. Und wird zu einer ganz anderen Eisform“, so Lörting. So wird zum Beispiel aus der ungeordneten Form „Eis XIV“ im geordneten Zustand „Eis XII“. Das Problem liegt aber darin, dass sich letzteres unter Laborbedingungen nur sehr schwer erzeugen lässt.
Um exotische Eisstrukturen besser verstehen zu können, ersetzen Wissenschafter die „normalen“ Wasserstoffatome vielfach durch Deuterium oder „Schweren Wasserstoff“. Wie man „Eis XIV“ aus Schwerem Wasser dabei unterstützen kann zu „Eis XII“ zu werden, hat das Tiroler Team nun unter der Leitung von Studien-Erstautorin Christina Tonauer genau untersucht.
Minus 200 Grad
Um die Ausgangsstruktur herzustellen, braucht es zunächst Temperaturen um minus 200 Grad Celsius. „Das Problem ist aber, dass bei dieser Kälte die Wasserstoffatome sich zwar ordnen wollen, aber dafür viel zu langsam sind. Wir nennen solche Eiskristalle 'frustriert'“, so Tonauer. Das Problem verstärkt sich bei den schwereren Deuterium-Atomen noch zusätzlich.
So suchten die Wissenschafter nach Möglichkeiten, die Wasserstoffatome agil zu halten. Das gelang ihnen auf zwei verschiedenen Wegen: Einerseits zwang man besagte Atome bei einem Druck von knapp 8000 Bar dazu, beweglich zu bleiben. Andererseits mengten die Forscher dem Schweren Wasser herkömmliche, leichtere und beweglichere Wasserstoffatome und kleine Mengen an Säure bei. Letztere schuf Freiräume in der Kristallstruktur, die es ermöglichen, dass sich die Atome besser rühren können.
Vorteile bei der Eis-Erforschung
Beide Methoden führten dazu, dass sich insgesamt mehr Ordnung einstellte. Die mit Zusatzstoffen versetzte Variante konnte mit einer bereits sieben Jahre lang eingelagerten, unveränderten Probe der gleichen Eis-Variante verglichen werden, die am Institut seit Jahren beobachtet wird. Auch in dieser Probe gibt es eine gewisse Tendenz zur Ordnung - wenn auch eine sehr langsam fortschreitende. Durch die Zugaben wird der natürliche Ordnungstrieb um das rund 100.000-fache beschleunigt: Statt Jahren dauert der Prozess nur noch Stunden, berichten die Wissenschafter.
Die neuen Methoden versprechen einige Vorteile für die Erforschung von Eis-Varianten, die sonst nur im Weltall vorkommen oder im Labor nur mit sehr viel Geduld hergestellt werden können. Da Wissenschafter momentan vermuten, dass es insgesamt sogar 56 Eis-Arten geben dürfte, könnten die neuen Erkenntnisse auch zur Entdeckung neuer Spielarten führen. (APA)