Schulwahl sorgt für Stress: Das große Zittern um einen Gym-Platz
Die Frage „Wohin nach der Volksschule?“ wird bald wieder konkret. Der Druck in Familien steigt. Während der „Run“ aufs Gymnasium vor allem in der Stadt ungebrochen ist, kämpfen einige Mittelschulen mit Vorurteilen.
Innsbruck – In den Wochen vor den Semesterferien gibt es an vielen Gymnasien einen „Tag der offenen Tür“. Und, egal, wohin man schaut, überall drängen sich Hunderte Interessierte durch die Schulgänge. Spricht man mit Eltern, wird schnell klar, worum es geht: „Unsere Tochter geht hier bereits zur Schule, natürlich hätten wir gerne, dass auch unser Sohn ins Gymnasium reinkommt“, sagt Ralisa H. aus dem Sellrain. Sie ist die Mutter von Emil (9) und sagt – wie andere Eltern übrigens auch: „Es ist ein einziger Stress für viele Eltern, man kann sich nicht einmal mit lauter Einsern im Halbjahreszeugnis sicher sein, dass das Kind einen Gym-Platz bekommt.“
Fragt man eine der vielen ProfessorInnen, die an den Infoständen im Gymnasium Sillgasse freundlich Auskunft geben, wie das denn nun mit der Platzvergabe sei, erfährt man: „Wir sind bemüht, es so fair wie nur möglich zu machen. Wenn es tatsächlich zu viele Bewerber mit Alles-Einser-Zeugnissen gibt, wird im Ernstfall auch gelost.“ Und ja, es gebe einen Geschwisterbonus, aber es sei ein Gerücht, dass mit guten Beziehungen, also Vitamin B, etwas zu machen sei.
Warum Eltern sich und ihren Kindern diesen Stress für einen Platz im Gymnasium überhaupt antun, hat viele Gründe: „Für viele Eltern sind die Mittelschulen am Land okay, in der Stadt und Innsbruck-Land sehen das aber viele anders. Eltern haben Angst, dass ihr Kind einen Nachteil hat“, sagen zwei Mütter. Mit Foto oder Namen in die Zeitung wollen sie nicht: „Das System ist irgendwie falsch, es wäre besser, wenn alle Kinder bis 14 Jahre gemeinsam in einer Schule bleiben könnten, dann gäbe es dieses ganze Theater nicht“, sagt eine der beiden Innsbruckerinnen.
Bildungspolitischer Systemfehler
Uwe Zanolin, Direktor der Mittelschule Reichenau, sieht das genau gleich. Auch er spricht von einem bildungspolitischen Systemfehler. Kinder nach der vierten Schulstufe schon in „gute“ und „schlechte“ Schüler zu unterteilen, sei falsch. „Wir schaffen so ein elitäres System. Dabei haben wir eine funktionierende Gesamtschule – und die heißt Volksschule“, betont der Schulleiter. Das Modell zeige, dass auch in der Stadt eine gut durchmischte Klasse funktionieren kann.
Etwa 80 Prozent der Kinder an der MS Reichenau haben nicht Deutsch als Muttersprache. Der Direktor sieht sich mit einigen Herausforderungen konfrontiert. Vor allem im städtischen Bereich gibt es nach wie vor Vorurteile gegenüber manchen Mittelschulen. Oft wird dann von „Brennpunktschulen“ gesprochen, ein Begriff, der das Stigma bereits im Namen trägt. „Wir können gegen diese Klischees nur begrenzt etwas tun. Wir haben die Möglichkeit, uns an Infoabenden zu präsentieren, doch im Endeffekt landen doch zu wenig Kinder bei uns“, sagt Zanolin.
Tatsache sei: Die meisten Kinder aus bildungsaffinen Familien gehen in die AHS. Übrig bleiben Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen und Kinder, die aufgrund der Migrationsbewegung gerade nach Tirol gekommen sind.
„Sie kommen mit allen Problemen zu uns. Wir können noch so gut arbeiten, und ich bin überzeugt, dass wir gute Arbeit leisten, doch es ist schwierig, Eltern zu vermitteln, dass wir eine gute Alternative sind“, sagt der Direktor. Nach wie vor herrsche die Meinung, dass die Zukunftschancen in Gymnasien besser seien.
„Die Mittelschulen sind in Wirklichkeit entschieden besser als ihr Ruf. Bedauerlicherweise dringt diese Tatsache aber zu wenig in das öffentliche Bewusstsein durch“, ergänzt Bernhard Deflorian von der Bildungsdirektion Tirol. Dem Schultyp und seinen Lehrpersonen werde man nicht gerecht, wenn man die im Wesentlichen hervorragende pädagogische Arbeit nicht anerkennt. „Die Schülerinnen und Schüler bekommen sehr wohl jene Grundlagen vermittelt, die sie für den anschließenden Besuch einer weiterführenden Schule benötigen.“ Realistischerweise müsse gesehen werden, dass nicht an allen Mittelschulendie Durchmischung besserer und schwächerer Schüler gleich günstig ist.
Finden Kinder keinen Platz in ihrer Wunschschule, dann kommt es immer wieder zu Stresssituationen. „Eltern und auch die Kinder stehen unter großem Druck“, weiß Schulpsychologin Rebecca Schiefke von der Bildungsdirektion Tirol.
Nicht selten komme es zu Verunsicherungen oder auch teilweise zu Konkurrenzdenken zwischen den Schülern. In schlimmen Fällen könne dieser Druck auch einen Einfluss auf das Selbstwertgefühl haben. Die Kinder bekommen Versagensängste, Schlafstörungen, haben Sorge, etwas nicht zu schaffen, ihr Umfeld und sich selbst zu enttäuschen. „Eltern sollten versuchen, ihre Kinder in den Entscheidungsprozess einzubeziehen“, rät Schiefke. Dabei kann es helfen, von Anfang an mehrere Schulen in Betracht zu ziehen. Wenn es mit der Wunschschule nicht klappt, hilft es, den Fokus auf die positiven Dinge zu lenken und keine Vorwürfe an das Kind weiterzugeben. Falls der Druck zu groß wird, sei es wichtig, sich Hilfe zu holen.