Geschwister prägen auch Paarbeziehungen
Die Psychotherapeutin und Autorin Susanne Pointners erzählt das Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ nach. Die folgende Passage ist ihrem Beitrag „Schwesterchen, mich dürstet. Der Einfluss der Geschwisterdynamik in der Paartherapie“ entnommen. (Karl Heinz Brisch (Hrsg) 2000: Bindung und Geschwister. Vorbilder, Rivalen, Verbündete, Klett-Cotta Stuttgart).
„Nach dem Tod ihrer Mutter leben Bruder und Schwester bei ihrer Stiefmutter, die sie, im Gegensatz zu ihrer eigenen Tochter, vernachlässigt und misshandelt. Deshalb laufen sie eines Tages fort, in den Wald hinein. In seiner Not will Brüderchen aus einem Bach trinken, obwohl Schwesterchen ihn davor warnt. Brüderchen widersteht den Quellen, die von der Stiefmutter verzaubert wurden, und ihn zum Tiger und zum Wolf machen würden. Er kann sich aber beim dritten Bächlein nicht zurückhalten und wird in ein Reh verwandelt.
Schwesterchen weint drei Tage lang, dann flicht sie a ein goldenes weiches Band und führt das Reh mit sich fort. In einer Hütte im Wald leben Schwesterchen und Brüderchen Reh viele Jahre ein idyllisches Leben in völliger Abgeschiedenheit.
Eines Tages blasen die Männer des Königs zur Jagd. Brüderchen hört das und möchte unbedingt hinaus. Er wird gejagt, kann aber entfliehen. Am zweiten Tag springt er wieder hinaus, und wird leicht verletzt. Am dritten Tag will Schwesterchen ihn unbedingt zurückhalten, Brüderchen meint, er müsste dann sterben vor stillem Sehnen, und so lässt sie ihn gehen. Nur wenn er ein geheimes Wort spricht, würde sie die Tür öffnen. Das hören die Männer des Königs, berichten es dem König und dieser spricht am Abend die geheimen Worte. Er entdeckt das schöne Mädchen und macht sie zu seiner Frau.
Sie bringt ein Kind zur Welt. Das erfährt die böse Stiefmutter. Als Kammerfrau verkleidet, erstickt die Stiefmutter die junge Königin im überheizten Bad und setzt die eigene, hässliche Tochter an ihre Stelle. Als der König von der Jagd heimkommt, verwehrt die vermeintliche
Kammerfrau ihm den Zutritt zur Königin. Jede Nacht sieht nun die ermordete Frau nach ihrem Kind und ihrem Bruder. Eines Nachts aber spricht sie:
»Was macht mein Kind? was macht mein Reh? nun komm’ ich noch drei Mal und dann nimmermehr.« Das hört die Kinderfrau und informiert den König. In der zweiten Nacht erkennt auch er den Betrug, und in der letzten Nacht getraut er sich endlich, seine verstorbene Frau anzusprechen und sich ihr zu nähern. Als er die Nachtgestalt umarmt, wird sie wieder lebendig und das Reh nimmt wieder Menschengestalt an. Die falsche Königin wird verjagt, die Hexe wird verbrannt.“