Rede zur Lage der Nation

Biden warnt Israel davor, humanitäre Hilfe als Druckmittel zu verwenden

Mit einem kämpferischen Auftritt im Kongress hat US-Präsident Joe Biden versucht, im Wahlkampf zu punkten und Zweifel an seiner mentalen Fitness zu zerstreuen.
© MANDEL NGAN

Der 81-Jährige forderte bei Rede zur Lage der Nation Freigabe von US-Hilfen für die Ukraine. Der Demokrat verurteilte die Aussagen von Trump. Auch sein eigenes Alter thematisierte er.

Washington – US-Präsident Joe Biden hat Israel davor gewarnt, die humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen als „Druckmittel" zu nutzen. „Humanitäre Hilfe darf keine zweitrangige Überlegung oder ein Druckmittel sein", sagte Biden am Donnerstag (Ortszeit) in seiner Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress. Der 81-Jährige wiederholte die Forderung nach einer sofortigen sechswöchigen Waffenruhe. Wladimir Putin will er nach Russlands Überfall auf die Ukraine weiter die Stirn bieten.

Bei seiner viel erwarteten Rede prangerte Biden die dramatische humanitäre Lage im Gazastreifen an, versprach den Menschen dort weitere Hilfe und rief Israels Führung zu einem besseren Schutz von Zivilisten auf. „Mehr als 30.000 Palästinenser wurden getötet, von denen die meisten nicht der Hamas angehören", sagte Biden. Kinder seien zu Waisen geworden, Menschen hätten ihre Häuser verloren und seien vertrieben worden. Viele seien ohne Nahrung, Wasser und Medizin. „Es ist herzzerreißend."

Eindringlich wandte sich Biden an die israelische Führung, ihren Beitrag zu leisten zur humanitären Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung: „Israel muss mehr Hilfslieferungen nach Gaza zulassen und sicherstellen, dass die humanitären Helfer nicht ins Kreuzfeuer geraten", mahnte der Demokrat. „Humanitäre Hilfe darf nicht zweitrangig sein oder als Verhandlungsmasse dienen. Der Schutz und die Rettung unschuldiger Menschen muss Vorrang haben."

Bidens Regierung hatte vor dessen Auftritt angekündigt, das US-Militär wolle gemeinsam mit internationalen Partnern einen temporären Hafen an der Küste des Gazastreifens einrichten. So solle die Not leidende Zivilbevölkerung zusätzliche Hilfe auf dem Seeweg bekommen. Die Umsetzung werde einige Wochen dauern. Biden betonte, für das Vorhaben würden keine US-Soldaten vor Ort gebraucht. Die USA drängen Israel schon länger dazu, den Schutz der Zivilbevölkerung zu verstärken und mehr Hilfe für die Bevölkerung in Gaza zu ermöglichen.

Biden: Müssen Putin weiter die Stirn bieten

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg forderte Biden den Kongress erneut auf, weitere US-Hilfen für das von Russland angegriffene Land freizugeben. „Meine Botschaft an Präsident Putin, den ich seit langem kenne, ist einfach: Wir werden nicht weglaufen", sagte Biden an den Kremlchef gerichtet. „Wenn irgendjemand in diesem Raum meint, Putin würde nach der Ukraine haltmachen, dann ist das falsch. Ich versichere Ihnen, das wird er nicht."

Die Ukraine könne Putin aufhalten. „Wenn wir der Ukraine zur Seite stehen und die Waffen liefern." Die Ukraine bitte nicht um US-Soldaten und er werde auch keine schicken, betonte der US-Präsident. Die Republikaner wollten, dass sich die USA von der Führungsrolle in der Welt verabschieden.

Biden verurteilte auch Aussagen seines Vorgängers Donald Trump zum Verteidigungsbündnis NATO. Diese seien „gefährlich und inakzeptabel", warnte er. Der 77-jährige Trump hatte jüngst bei einem Wahlkampfauftritt deutlich gemacht, dass er NATO-Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde.

Die USA galten in den vergangenen zwei Jahren seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als wichtigster Verbündeter Kiews. Die US-Regierung lieferte in gewaltigem Umfang Waffen und Munition an die Ukraine. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch keinen Nachschub mehr aus den USA. Hintergrund ist eine innenpolitische Blockade im US-Kongress, wo Republikaner weitere Hilfen für Kiew bisher verweigern. Ein neues Hilfspaket, das rund 60 Milliarden US-Dollar für die Ukraine vorsieht, hat zwar den Senat passiert. Doch nun steckt es in der zweiten Kammer, dem Repräsentantenhaus, fest.

Werde Einwanderer nicht verteufeln

Innenpolitisch will sich Biden beim im US-Wahlkampf wichtigen Thema Migration nicht an der Politik seines Vorgängers orientieren. „Ich werde keine Familien trennen", sagte er. Er werde die Einreise von Menschen aufgrund ihres Glaubens nicht verbieten. Trump hatte nur eine Woche nach seinem Amtsantritt Einreiseverbot für Menschen aus mehreren überwiegend muslimisch geprägten Ländern verhängt und damit weltweit Entsetzen ausgelöst. Der Republikaner hatte außerdem illegal in die USA gelangte Familien für die gesamte Dauer ihres Asyl- oder Einwanderungsverfahrens in Gewahrsam nehmen lassen.

Mit Blick auf eine aktuelle Äußerung Trumps sagte Biden weiter: „Ich werde Einwanderer nicht verteufeln und sagen, sie seien Gift im Blut unseres Landes." Die ultra-rechte Abgeordnete Marjorie Taylor Greene rief bei der Rede immer wieder dazwischen. Sie trug unter anderem einen Anstecker, der an die in ihrem Heimatbundesstaat Georgia getötete Studentin Laken Riley erinnerte. Der Fall hatte national Aufmerksamkeit erregt, weil der Hauptverdächtige ein Venezolaner ist, der nach Angaben der US-Behörden illegal in die USA eingereist ist. „Laken Riley, eine unschuldige junge Frau, die von einem Illegalen getötet wurde - das ist richtig", sagte Biden. Aber wie viele von den Tausenden von Menschen würden von Menschen getötet, die nicht ohne Aufenthaltsgenehmigung im Land seien, so Biden weiter.

Der Amtsinhaber rief auch dazu auf, die Demokratie in den USA mit aller Kraft zu verteidigen. „Mein Vorgänger und einige von Ihnen hier versuchen, die Wahrheit über den 6. Jänner zu begraben", sagte Biden mit Verweis auf Trump und den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner 2021, als Trump-Anhänger den Parlamentssitz in Washington stürmten. Die Verschwörung, das Wahlergebnis nachträglich zu kippen, habe die größte Bedrohung für die Demokratie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg dargestellt, sagte Biden. Doch Amerika sei stark gewesen, und die Demokratie habe sich durchgesetzt. Biden nannte Trump nicht namentlich, sondern bezeichnete ihn lediglich als seinen Vorgänger.

Biden thematisierte sein Alter

Am Ende thematisierte Biden auch sein Alter. „In meiner Laufbahn hat man mir immer wieder gesagt, ich sei zu jung und zu alt. Ob jung oder alt, ich habe immer gewusst, was Bestand hat", sagte der 81-Jährige. Es sei die Idee Amerikas, dass alle gleich geschaffen seien und es verdienten, das ganze Leben lang gleich behandelt zu werden. „Wir sind dieser Idee nie ganz gerecht geworden, aber wir haben uns auch nie von ihr entfernt. Und ich werde mich auch jetzt nicht von ihr entfernen."

Bidens Alter gilt als seine größte Bürde im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf. Der Demokrat war 2021 als ältester Präsident aller Zeiten ins Weiße Haus eingezogen und will bei der Wahl im November für eine weitere Amtszeit antreten. Sollte er erneut gewählt werden, wäre er am Ende seiner zweiten Amtszeit 86 Jahre alt. Biden macht regelmäßig Schlagzeilen mit Patzern und Versprechern. Bei der langen und viel beachteten Rede zur Lage der Nation, die diesmal mitten in den Präsidentschaftswahlkampf fiel, stand er deswegen unter besonderer Beobachtung.

Dutzende US-Demokratinnen trugen bei der Rede Weiß. Sie demonstrierten damit für Frauenrechte. Biden ging bei der Ansprache auch auf die Beschränkung der Abtreibungsrechte in den USA durch den Supreme Court ein. Die weiße Kleidung ist ein Symbol für die Suffragetten-Bewegung. Anfang des 20. Jahrhunderts demonstrierten amerikanische Frauen in den USA in weißer Kleidung für ein flächendeckendes Frauenwahlrecht.

Auch andere Gäste setzten mit ihren Outfits politische Statements. So zeigten sich die Demokratin Nikema Williams und andere Frauen in Blau, um sich mit den israelischen Geiseln zu solidarisieren. Die Demokratin Rashida Tlaib und mindestens eine weitere Frau trugen Schwarz und darüber ein Palästinensertuch in Solidarität mit den Menschen im Gazastreifen. Die Republikanerin Marjorie Taylor Greene setzte sich vor Beginn der Rede eine Maga-Cap auf. Maga steht für das Wahlkampfmotto des Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump: „Make America Great Again". (APA/dpa/AFP)

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