Selenskyj weist Appell des Papstes scharf zurück
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einen missverständlichen Appell von Papst Franziskus zu Friedensverhandlungen mit Russland scharf zurückgewiesen. Die Kirche sei bei den Menschen, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. "Und nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will."
"Als das russische Böse am 24. Februar diesen Krieg begann, standen alle Ukrainer auf, um sich zu verteidigen. Christen, Muslime, Juden - alle", sagte Selenskyj. Und er danke jedem ukrainischen Geistlichen, der in der Armee, in den Verteidigungsstreitkräften ist. Sie stünden an der vordersten Front, sie schützten das Leben und die Menschlichkeit, sie unterstützten mit Gebeten, Gesprächen und Taten. "Das ist es, was die Kirche ist - bei den Menschen."
Der Pontifex hatte mit einem missverständlichen Appell zu Friedensverhandlungen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine massiven Widerspruch ausgelöst. Die Äußerungen des katholischen Kirchen-Oberhaupts wurden in der Ukraine und bei vielen ihrer Unterstützer als einseitiger Appell allein an Kiew verstanden - von manchen gar als Aufruf zur Kapitulation. Der 87-Jährige gebrauchte in einem am Wochenende veröffentlichten Interview des Schweizer Fernsehens mit Blick auf Schwierigkeiten der ukrainischen Armee auch das Wort von der "weißen Fahne" - in Kriegszeiten seit Jahrhunderten das Zeichen der Kapitulation, also der kampflosen Aufgabe gegen die feindlichen Truppen.
Vor Selenskyj hatte bereits Außenminister Dmytro Kuleba den Vorstoß des Papstes in ähnlichen Worten zurückgewiesen. "Der Stärkste ist derjenige, der im Kampf zwischen Gut und Böse auf der Seite des Guten steht und nicht versucht, sie auf die gleiche Stufe zu stellen und dies 'Verhandlungen' zu nennen", sagte er. Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, nannte Franziskus einen "Kleingläubigen". Der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrij Jurasch, fragte auf X, ob im Zweiten Weltkrieg jemand mit Hitler ernsthaft über Frieden gesprochen und die weiße Fahne geschwenkt habe, um ihn zu befrieden.
Die ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk erklärte laut Kathpress, dass eine Kapitulation für die Ukraine russische Besatzung bedeute. Das heiße "Folter, sexuelle Gewalt, zwangsweises Verschwinden, Ablehnung der eigenen Identität, Zwangsadoption der eigenen Kinder, Filtrationslager und Massengräber", sagte Matwijtschuk. "Die Besatzung ist nur eine andere Form des Krieges", so die Vorsitzende des Kiewer Zentrums für bürgerliche Freiheiten, das 2022 den Friedensnobelpreis erhielt.
Die Co-Gründerin des "Internationalen Zentrums für den Ukrainischen Sieg", Olena Haluschka, schrieb auf X: "Der Papst sollte endlich den Mut haben, einen Aggressor zu verurteilen, anstatt dem Opfer vorzuwerfen, dass es sich gegen einen Völkermord wehrt."
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski twitterte: "Wie wäre es, wenn man zum Ausgleich Putin ermutigt, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen? Dann würde sofort Frieden einkehren, ohne dass Verhandlungen nötig wären", schrieb Sikorski am Sonntag auf X.
Auch aus Deutschland kam Kritik. "Ich frage mich wirklich, was er sich dabei gedacht hat", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Sonntagabend in der ARD-Sendung "Caren Miosga. Wenn es eine minimale Chance gebe, dass das russische Regime Gesprächsbereitschaft zeige, "dann wäre die ganze Welt da und würde reden. Nur leider sehen wir jeden Tag das Gegenteil".
Unterdessen versuchte der Vatikan, die umstrittenen Äußerungen des Papstes einzuordnen. Das zum Heiligen Stuhl gehörende Online-Portal "Vatican News" verbreitete am Sonntag in mehreren Sprachen, darunter auch Ukrainisch, einen Bericht über eine entsprechende Erklärung von Vatikansprecher Matteo Bruni. Demnach präzisierte Bruni, der Papst habe damit "vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben" wollen.
Die Samstagabend von Medien verbreiteten Papstworte stammen aus einem Interview des Katholischen Kirchenoberhauptes mit dem italienischsprachigen Schweizer Rundfunk RSI, das am 20. März in voller Länge ausgestrahlt werden soll. Mit den Aussagen, wonach die Ukraine "den Mut zur weißen Flagge und zu Verhandlungen" haben solle, habe der Pontifex das Bild der weißen Fahne aufgegriffen, das der Interviewer eingeführt habe, erläuterte Vatikan-Sprecher Bruni. Sinn der Aussage sei, dass Franziskus sich eine "diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden" wünsche.
"An anderer Stelle des Interviews, in dem er von einer anderen Konfliktsituation spricht, sich aber auf jede Kriegssituation bezieht, stellte der Papst weiter klar, dass eine Verhandlung 'niemals eine Kapitulation' ist", zitierte das Portal den Vatikan-Sprecher.
In dem Interview fragte der Journalist Lorenzo Buccella den Papst: "In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne, fordern. Aber andere sagen, dass dies die Stärksten legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?" Darauf antwortete Franziskus: "Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut zur weißen Flagge hat, zu Verhandlungen. Und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort 'verhandeln' ist ein mutiges Wort."
Weiter sagte der Papst in dem Interview: "Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Verhandle rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt. Heute, zum Beispiel im Krieg in der Ukraine, gibt es viele, die vermitteln wollen. Die Türkei hat sich dafür angeboten. Und andere. Schämt euch nicht, zu verhandeln", so das Kirchenoberhaupt weiter.
"Der Wunsch des Papstes", so Vatikansprecher Bruni dazu, "ist und bleibt derselbe, den er in den letzten Jahren immer wieder geäußert und kürzlich anlässlich des zweiten Jahrestages des Konflikts wiederholt hat."