Bei schweren Straftaten

„Ich denke an eine Art Erziehungsheim“: Mair (ÖVP) offen für Senkung der Strafmündigkeit

Für ÖVP-Landesrätin Astrid Mair soll es in puncto Strafmündigkeit keine Denkverbote geben.
© Liebl Daniel

Astrid Mair (ÖVP) begrüßt eine Diskussion über die Senkung der Strafmündigkeit. Indes kritisiert Neßler „populistische Debatten".

Innsbruck, Wien – Sicherheitslandesrätin Astrid Mair (ÖVP) hat sich bezüglich einer Senkung der Strafmündigkeit "gegen Denkverbote" ausgesprochen und die von ihrem Bundesparteiobmann, Bundeskanzler Karl Nehammer angestoßene Diskussion begrüßt. "Bei schweren Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung könnte ich mit einer Herabsetzung durchaus leben", bekannte die Politikerin am Mittwoch bei einem Hintergrundgespräch in Innsbruck. Auch Landespolizeidirektor Helmut Tomac begrüßte den Vorstoß.

Von Zwölfjährigen kann man erwarten zu wissen, dass man niemandem schaden darf.
Helmut Tomac (Landespolizeidirektor)

Damit setze man einen "wichtigen Akzent", so Tomac. Von Zwölfjährigen – derzeit liegt die Strafmündigkeit bei 14 Jahren – könne man erwarten zu wissen, dass man niemanden schaden, verletzen oder gar töten dürfe, sagte Tomac "aus persönlicher Sicht". Eine Sanktion sei in bestimmten Fällen "zumutbar". Gleichzeitig betonte Tomac, dass eine solche nicht unbedingt eine Freiheitsstrafe sein müsse.

Erziehungsheim statt Haft

Die Lage in Tirol beschrieb der Landespolizeidirektor indes als "nicht besorgniserregend, aber auch nicht zu vernachlässigen". Immer wieder habe man jedoch mit Jugendlichen zu tun, die "im Bewusstsein ihrer Strafunmündigkeit handeln", so Tomac. In solchen Fällen müsse es möglich sein, Grenzen aufzuzeigen. Bezüglich der jüngst verübten Taten mit Beteiligung von Jugendlichen zeigte sich der Landespolizeichef "erschüttert".

"Unterbringung ist nicht gleich Haft", betonte Landesrätin Mair. Sie denke an eine "Art Erziehungsheim", wo es möglich sein müsse, Jugendliche "festzuhalten". Diese sollten sich einer Diskussion nicht entziehen können, um Grenzen aufzeigen zu können. Zur konkreteren Ausgestaltung verwies Mair auf Nachfrage auf das von Bundeskanzler Nehammer angestoßene, in Ausarbeitung befindliche Maßnahmenpaket.

Angesichts jüngster Kriminalfälle unter Beteiligung von mündigen Jugendlichen und noch nicht strafmündigen Kindern hatte der Kanzler Anfang März Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) mit der Erarbeitung eines Maßnahmenpaketes beauftragt. Ende April soll ein erster Zwischenbericht einer Arbeitsgruppe mit konkreten Vorschlägen vorliegen, hieß es.

Ein Gefängnisaufenthalt trägt wenig zur Besserung bei.
Natascha Lorence Bousa (Institut für Gewaltprävention)

"Wir müssen früher ansetzen", betonte auch Natascha Florence Bousa vom Institut für Gewaltprävention und Konfliktmanagement in Familien. Auch Bousa begrüßte die Diskussion über die Senkung der Strafmündigkeit. Gleichzeitig bedürfe es bei Unmündigen oft vielmehr "Begleitung", um diese zur Einsicht in ihr Fehlverhalten zu bringen. Auch benötige man unbedingt entsprechend geeignete Einrichtungen. "Ein Gefängnisaufenthalt trägt wenig zur Besserung bei", betonte Bousa. Vielmehr wisse man, dass Jugendliche nach einem Haftaufenthalt vermehrt Kontakt zu Altersgenossen hielten, die mit ihnen eingesperrt gewesen waren.

Unisono wurde betont, dass Prävention und Sensibilisierung oberstes Gebot sei. "Jeder kann einen Beitrag leisten", appellierte Bousa. Eine entsprechende Unterstützung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen sei eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe". Auch sei frühes Eingreifen essenziell – zu dem Zeitpunkt, wo Kinder zum ersten Mal auffällig würden.

Verdopplung der Straftaten

Während bundesweit von einer Verdoppelung der Zahl der von Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren begangenen Straftaten die Rede war, berichtete Tomac auch für Tirol von "deutlichen Tendenzen". 2018 habe man mit 598 Tatverdächtigen unter 14 Jahren zu tun gehabt, 2022 habe man bereits 985 verzeichnet, nannte der Landespolizeichef konkrete Zahlen. Auch waren es in Tirol 2018 noch 2735 Tatverdächtige im Alter zwischen 14 und 18 Jahren gewesen, 2022 bereits 3045.

Bei den konkreten Deliktarten seien in bestimmten Bereichen wie Delikten gegen Leib und Leben oder Eigentum Rückgange zu verzeichnen, bei Sexualdelikten oder Waffenbesitz hingegen ein Anstieg, hieß es im Rahmen des Pressegesprächs. Bei der Interpretation der Zahlen sei jedoch Vorsicht geboten, beispielsweise würden diese nichts über die Intensität der verübten Straftaten aussagen. Diese sei zuletzt durchaus gestiegen.

Neßler ortet "Scheindebatte"

Ablehnend gegenüber der von der ÖVP zur Diskussion gestellten Herabsetzung der Strafmündigkeit äußerte sich am Mittwoch einmal mehr der grüne Koalitionspartner im Bund. Die Tiroler Nationalratsabgeordnete Barbara Neßler kritisierte gegenüber der APA "populistisch geführte Debatten, die nur Scheinlösungen bringen, aber keine Verbesserungen". Kriminalsoziologen und die Richterschaft seien sich einig, dass eine entsprechende Verschärfung kein taugliches Mittel gegen Kinder- und Jugendkriminalität sei.

Stattdessen forderte Neßler mehr präventive Maßnahmen. Parteikollegin Landtagsabgeordnete Zeliha Arslan warnte, mit früherem Einsperren erhöhe man das Risiko von Rückfällen und züchte langfristig eine "Generation Gefängnis" heran. Vielmehr müsse man "ansetzen, bevor etwas passiert" und Streetworker sowie Kinder- und Jugendhilfe stärken, forderte Arslan und kündigte einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag in der kommenden Landtagssitzung an.

FPÖ für Absenkung auf bis zu zehn Jahre

Der Tiroler FPÖ-Landesparteichef Markus Abwerzger, der in der Vergangenheit die Herabsetzung des Strafalters gefordert hatte, sprach sich am Mittwoch in einer Stellungnahme erneut für eine "ernsthafte Diskussion" über eine Absenkung auf bis zu 10 Jahre laut Schweizer Modell aus. Begleitend müsse dann jedoch auch das Jugendstrafrecht grundlegend reformiert werden, forderte der Rechtsanwalt.

"Es ist die Realität, dass es immer jüngere Täter gibt", so Abwerzger. Der Klubobmann betonte, dass man Unter-14-Jährige jedoch nicht "einfach in eine Haftanstalt einsperren" wolle. Vielmehr sollten gesetzliche Regelungen geschaffen werden, sodass mit "sanftem Druck" Maßnahmen getroffen werden können, um Jugendliche aus der Kriminalität zu holen. Um das zu ermöglichen "braucht es eine Herabsetzung des Strafalters", schlussfolgerte Abwerzger.

SPÖ-Justizsprecherin für Ausbau der Angebote

Gegen die Senkung der Strafmündigkeit sprach sich hingegen die Tiroler SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Justizsprecherin Selma Yildirim aus. Opferschutz und Prävention müssten im Fokus stehen. Yildirim befürwortete gegenüber der APA einen "weiteren Ausbau der Schulsozialarbeit und spezialisierter Therapie- und Beratungsangebote".

Die SPÖ wolle auch eine "verstärkte Einbindung der Pflegschaftsgerichte in die Verbrechensprävention und die Reaktion auf Verstöße gegen das Strafgesetz." Durch geeignete sozialpädagogische Maßnahmen sollen kriminelle Handlungen durch Unmündige verhindert werden.

In Bezug auf den mutmaßlichen Missbrauch einer Zwölfjährigen durch 17 Tatverdächtige mit großteils migrantischem Hintergrund zeigte sich Yildirim "erschüttert". Und fragte: "Wie kann es sein, dass so etwas passiert und weder Eltern noch Schule bekommen etwas mit? Eltern haben eine Erziehungs- und Aufsichtspflicht und sind für ihre Kinder verantwortlich. Das ist gesetzlich verankert."

Verschiedene Bereiche tagen zu Gewaltprävention

Das Kompetenzzentrum Sicheres Österreich (KSÖ) hatte für Mittwoch und Donnerstag gemeinsam mit der Tiroler Polizei sowie dem Land Tirol am Tiroler Bildungsinstitut Grillhof in Vill zu einem Kurzlehrgang zum Thema "Umgang mit straffälligen (un)mündigen Jugendlichen" geladen. 48 Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen unter anderem der Polizei-, Sozial- und Jugendarbeit nahmen an der Fortbildung mit Expertinnen und Experten zum Thema Gewaltprävention teil. (APA)

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