Kein Zores auf Vorschuss
Der bekannte Schauspieler Miguel Herz-Kestranek beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit jüdischen Witzen und Geschichten. Es ist dennoch kein Witzebuch geworden.
Von Alexandra Plank
Innsbruck – Die liebevolle Auseinandersetzung mit der jüdischen Lebensart liegt seit einigen Jahren im Trend. Steven Bloom lässt in seinem Roman „Stell mir eine Frage“ drei Juden im Brooklyn der 50er Jahre täglich aufeinandertreffen, um beim Kaffee über Gott und die Welt zu debattieren: Liebe, Ehe, Eifersucht, Alltagssorgen, Koreakrieg und Rassismus sind nur einige der Themen. Und zu jedem weiß einer einen Witz zu erzählen. Das Buch ist dabei mehr als eine Sammlung jüdischer Witze, nämlich ein Roman, der im unentwegten Witzeln seiner wehrlosen Helden deren Schicksale stilistisch brillant zum Leben erweckt.
Beim neuen Buch des bekannten Schauspielers Miguel Herz-Kestranek, der sich selbst als jüdischen Buddchristen bezeichnet, der seine jüdischen Wurzeln, seine christliche Erziehung und seine buddhistischen Erkenntnisse lebt, verhält es sich ähnlich. In „Die Frau von Pollak oder Wie mein Vater jüdische Witze erzählte“ hagelt es jüdische Witze und Anekdoten und dennoch ist es kein Witzebuch geworden. Vielmehr philosophiert Herz-Kestranek über die Bedeutung des jüdischen Witzes, über seine Eigenarten und über den schmalen Grat zwischen der jüdischen Tradition, sich selbst auf die Schaufel zu nehmen, und dem judenfeindlichen Witz. Er weist auch auf den mittlerweile zu Oscar-Ehren gelangten Trend hin, in Filmen jüdisches Schicksal während des Holocaust komödiantisch aufzuarbeiten und die Verbrecher als Witzfiguren bloßzustellen, wie eben in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“. Herz-Kestranek zitiert dazu Arthur Schnitzler: „Dem Humor, dem göttlichen Kind, ist nichts verwehrt; auch nicht mit dem Schmerz, dem Elend, dem Tod zu spielen ...“.
Vor allem zeigt das Buch aber die sehr komplexe Beziehung zwischen dem Autor und seinem Vater auf, der stets nach dem Spruch handelte: „Kein Zores auf Vorschuss!“ Was so viel bedeutet wie „Mach dir doch nicht jetzt schon Sorgen, wer weiß denn, wie es wirklich ausgeht ...“.
Es ist offensichtlich, dass Herz-Kestranek den jüdischen Humor zutiefst verehrt und ihn sich auch als intellektuelle Waffe zu Nutze macht. So kontere er dumme Fragen von Journalseiten schon mal damit, dass er erkläre, er sei der „ledige Sohn von Kaiser Franz Joseph I.“, schreibt Herz-Kestranek. Diebisch freut sich der Schauspieler dann darüber, wie sich bei seinem Gegenüber höchste Irritation breitmacht.
Die Kommunikation in seiner Familie beschreibt Herz-Kestranek als ein Sammelsurium von Pointen aus jüdischen Geschichten, vor allem aber von Sprüchen der Frau Pollak, die aus einer Mischung von Naivität und Ungerührtheit bestanden. So äußert sich Herz-Kestranek bei herausragenden Leistungen eines Künstlers mit einem anerkennend gemeinten „Also, Paganini is er keiner!“. Und das kam so: Die Frau Pollak geht in einen weltberühmten Zirkus. Die Darbietungen erreichen ihren Höhepunkt mit einem Seiltänzer im Clownkostüm, der ohne Stange und Netz auf einem Seil unter der Zeltkuppel balanciert. Um sein rechtes angehobenes Bein lässt er Ringe kreisen und jongliert mit Keulen. Schließlich zieht er eine kleine Geige aus seiner Mundhöhle, klemmt sie mit der Zunge zwischen Kinn und Schulter und führt den Bogen mit den Zähnen: Worauf Frau Pollaks tiefes Organ ertönt: „Also, Paganini is er keiner.“ Es macht Spaß, in diese Welt einzutauchen, auch wenn das Buch mit 361 Seiten Längen aufweist. Schließlich wird man auch des tiefsinnigen Humors einmal überdrüssig.