„Wir sind gottlos, aber Gott noch nicht losgeworden“
Ein atheistischer Theologe, der traurig über seinen Glaubensverlust ist, und ein Philosoph, der über guten Sex und die wundesten Punkte unserer Kultur nachdenkt: Franz Josef Wetz.
Sie haben in Innsbruck an der Theologischen Fakultät über Atheismus referiert. Was interessiert Sie mehr: Warum Menschen glauben oder warum jemand nicht glaubt?
Franz Josef Wetz: In erster Linie interessiert mich, wie jemand dazu kommt, überhaupt zu fragen, ob er glauben soll oder nicht. Der gleichgültige Christ ist genauso uninteressant wie der gleichgültige Atheist, mich interessiert der suchende, ruhelose, des Gelingens seines Lebens nicht sichere Mensch.
Der über sein Suchen früher oder später zu den so genannten letzten Fragen findet?
Wetz: Ja. Die Antwort kann im Glauben liegen – aber auch im Gegenteil.
Gläubige fühlen sich beleidigt, wenn man einen zentralen Bestandteil ihres Selbstverständnisses als Privatsache oder gar als neurologische Devianz abtut. Nichtgläubige empört, dass sie sich dafür verteidigen müssen, nicht an eine Illusion zu glauben. Wo stehen Sie?
Wetz: Ich vertrete nachdrücklich eine atheistische Position.
Wie kam’s, dass der katholische Theologe Wetz vom Glauben abfiel?
Wetz: Zunächst hat mich die Auseinandersetzung mit der Philosophie zusehends von jeder Art von religiösem Glauben entfremdet. Dazu kam die Beschäftigung mit Kulturgeschichte und die Frage: Wie kann es sein, dass eine Geschichte, die vor 2000 Jahren in einer primitiven Bauernkultur spielte, als letzte Wahrheit für den gesamten Kosmos gelten soll? Und das Theologiestudium an sich, die historisch-kritische Methode der Wissenschaft, fand ich auch glaubensaustreibend und entzaubernd. Es ist mir absolut unverständlich, wie ein Exeget heute noch gläubig sein kann.
Kritische Wissenschaft und Glaube gehen trotz aller gegenteiligen päpstlichen Bemühungen nicht zusammen.
Wetz: Jedenfalls nicht ohne Weiteres. Das war der vierte Faktor, der mir den Glauben nahm: die Ergebnisse der Naturwissenschaften! Irgendwann um mein 30. Lebensjahr herum ist mein Glaubensgebäude in sich zusammengestürzt.
Mit welchen Folgen für Ihre Haltung gegenüber Religiösen?
Wetz: Es gibt die Draufschläger-Atheisten, aggressive Polemiker, die einen Heidenspaß daran haben, die Kirchen vorzuführen. Es gibt, vor allem in Westeuropa, die wachsende Zahl derer, die der Religion nicht einmal mehr feindselig, sondern völlig indifferent gegenüberstehen.
Und Sie selbst?
Wetz: Ich zähle mich zu einer dritten Gruppe. Ich bin klassisch katholisch sozialisiert, war Messdiener, bei der Jungschar usw. Ich habe das Ganze nie als etwas Schreckliches erlebt und gern Theologie studiert. Bis mich mein Zweifel eingeholt hat. Ich stilisiere mich ganz gern zum nos-talgischen Religionskritiker, dem es schwerfällt, Gott nicht existieren lassen zu können.
Sie vermissen die Geborgenheit, die Ihnen die Kirche vermittelt hat?
Wetz: Genau. Meinem stark naturalistischen Ansatz zufolge sind wir Menschen nichts weiter als schmalnasige Säugetiere, die aus dem Wirbel einer ungerichteten Evolution emporgeschleudert wurden, ungefähr 30.000 Tage leben und dann wieder ins Nichts verschwinden. Verstandesmäßig finde ich diese Position am überzeugendsten, gefühlsmäßig aber unbefriedigend, sogar abstoßend. Umgekehrt ist es mit Religion: verstandesmäßig unplausibel, aber gefühlsmäßig nach wie vor anheimelnd. Das scheint mir nicht untypisch für unsere Generation.
Wir wissen noch, was uns fehlt.
Wetz: Die Generation nach uns gehört bereits zu den Indifferenten, die haben gar nichts mehr, wovon sie sich verabschieden müssten. Wir hingegen sind gottlos, aber Gott noch nicht losgeworden. Damit ringe ich immer noch.
Eh erst seit 20 Jahren ...
Wetz (lacht): Eben! Ich vermute, dass mich die Trauerarbeit bis ans Lebens-ende beschäftigen wird.
Bestätigt sich wissenschaftlich der Alltagseindruck, dass der Ton zwischen Gläubigen und Atheisten in letzter Zeit rauer geworden ist?
Wetz: Wir erleben eine Wiederbelebung der religionskritischen Auseinandersetzung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die heutigen Argumente in diesem Kulturkampf gab es, verbunden mit den Namen Nietzsche, Marx, Feuerbach, Freud, schon damals. Frieden zwischen Religion und Atheismus und moderner Welt war seither nie, aber doch eine Art Waffenstillstand. Der ist nun aufgehoben.
Warum?
Wetz: Dazu beigetragen hat der islamische Fundamentalismus. Terror im Namen Allahs zieht alle monotheistischen Religionen in einen Sog. Dazu sind vom Westen her die Evangelikalen im Vormarsch. Und dann war da die katholische Folklore, die Johannes Paul II. bis hin zu seinem Sterben inszeniert hat und die zu einem Geraune von der Wiederkehr des Religiösen geführt hat.
Was allerdings nie mehr als Wunschdenken war.
Wetz: Die Religionskritiker hat es dennoch provoziert, und sie fanden in den modernen Medien interessierte Multiplikatoren. Da wurden dann gern erzkonservative Dogmatiker und aggressive Atheisten in Talkshows aufeinander losgelassen, Zeitungen griffen das Thema auf, Bücher wurden geschrieben ...
Sie halten die Kluft zwischen Gläubigen und Atheisten für eine Medienfiktion?
Wetz: Ein Stück weit schon! In der breiten Bevölkerung findet eine Auseinandersetzung mit Kirche auf der Ebene von Missbrauchsskandalen statt, aber nicht auf einer grundsätzlich religionskritischen Ebene. Wenn man sich die Diskussionslinie von David Hume im 18. Jahrhundert bis Nietzsche anschaut, sieht man, dass Richard Dawkins, Christopher Hitchens, Michael Schmidt-Salomon und wie sie alle heißen kein einziges neues Argument bringen.
Entkräftet das deren Religionskritik?
Wetz: Durchaus nicht. Die Argumente von damals sind ja nie bearbeitet, geschweige denn widerlegt worden. Meine Kritik an der gegenwärtigen Religionskritik, also an meiner eigenen Fraktion, ist aber: Mir fehlt an den Büchern von Dawkins und den meisten anderen der existenzielle Ernst. Sie nehmen den um seine Position in der Welt ringenden Menschen im Sinne Blaise Pascals, Kierkegaards oder auch Sartres nicht ernst.
Vielleicht kann man das Ringen wissenschaftlich ausblenden, aber das einzelne kleine Menschlein kommt darum nie herum.
Wetz: So ist es, der Mensch hat nun einmal einen hohen Trost- und Sinnbedarf. Da geht’s nicht um eine reine philosophische Logelei.
Die Naturwissenschaften werden noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten der Welterklärung angekommen sein. Wird der Gottglaube in der europäischen Kultur aussterben?
Wetz: Ganz aussterben wohl nicht, aber wir steuern schnurstracks auf eine Gesellschaft ohne Gott zu. Oder besser: auf das einmalige Experiment einer Gesellschaft ohne Gott.
Laut jüngsten Zahlen glauben gerade noch 53 Prozent der Österreicher an einen Gott.
Wetz: Das ist in Deutschland ähnlich. Und wir werden auf jeden Fall in den nächsten 20 Jahren weiterhin eine ungeheure Entkirchlichung erleben.
Wie schätzen Sie Versuche von intelligenten, aufgeklärten Menschen wie dem Wiener Kardinal Schönborn ein, verlorenes Terrain zurückzuerobern, indem sie teleologische Konzepte wie „Intelligent Design“ propagieren?
Wetz: Das funktioniert überhaupt nicht.
Weil?
Wetz: Weil es unterstellt, es gäbe Signale innerhalb der Wissenschaften, die einen Schluss auf das Höhere nahelegten. Das ist Unsinn, da fällt der Reflexionsstand hinter Kant zurück.
Wechseln wir das Thema: In Ihrem jüngsten Buch „Lob der Untreue. Eine Unverschämtheit“ beschreiben Sie, dass die lebenslange monogame Ehe inklusive ewig junger Liebe, einer Partnerschaft auf Augenhöhe und sexueller Erfüllung nicht funktioniert und nie funktioniert hat.
Wetz: So sehe ich die Lage, ja. Die Idee der romantischen Liebe als Heiratsgrund stammt aus dem 18. Jahrhundert. Das war einerseits ein Fortschritt.
Andererseits hat uns diese Zeit nicht umsonst auch das „bürgerliche Trauerspiel“ beschert.
Wetz: So ist es. Die Illusion ist nicht aufrecht zu halten. U. a. deshalb, wie wir heute wissen, weil beim x-ten Mal Sex mit demselben Partner wichtige Botenstoffe wie Dopamin, Noradrenalin etc. nicht mehr ohne Weiteres freigesetzt werden. Dann ist es mit der Verliebtheit vorbei. Das führt dazu, dass langjährige Beziehungen nur so strotzen vor Verschwiegenem.
Sie leiten daraus ab, dass der Mensch seine Bedürfnisse nach Verliebtheit und sexueller Abwechslung diskret, aber ohne schlechtes Gewissen ausleben sollte?
Wetz: Ich plädiere für eine neue Sexualkultur, ja. Ich propagiere den Seitensprung nicht, aber er findet ja so oder so statt. Also bin ich dafür, ihn zu entdramatisieren und in einer an sich funktionierenden, von Herzenswärme getragenen Beziehung nicht unbedingt als Katastrophe zu betrachten.
Klingt super – funktioniert in aller Regel aber nicht, weil kaum jemand eifersuchtsfrei ist.
Wetz: Ich verschweige keineswegs, dass es proble- matisch ist – vor allem in Be- ziehungen, in denen die Partner die Achtung voreinander verloren und ihre Komplizenschaft zugunsten einer mehr oder minder unterschwelligen Feindseligkeit aufgegeben haben.
Sie schreiben: „Guter Sex ist fast jede Sünde wert.“ 1. Was ist für Sie guter Sex? Und 2. Was ist dem Atheisten Sünde?
Wetz: Na ja, Sünde ist eine Redensart, die die Übertretung bestimmter Konventionen und Tabus meint. Und zum ersten Thema: Das Buch ist aus der Grundidee heraus entstanden, dass jede Kultur, so liberal sie auch ist, unsere dunklen Seiten, die nicht domestizierbaren, aggressiven, lustvollen Begierden kanalisieren und beschneiden muss.
Weil ohne Konvention Sozialleben im weitesten Sinn nicht funktioniert?
Wetz: So ist es. Aber das Begehren sucht sich Schleichwege auf die Hinterbühne des Lebens, was meines Erachtens dazu geführt hat, dass viele Menschen sexuelle Analphabeten sind. Guter Sex führt weg von unserer Genital- und Orgasmuszentriertheit und hin zu einer Erotisierung des ganzen Körpers, er lässt Hemmungslosigkeit und das Entwickeln einer Pausenkultur zu.
Wer mit seiner Arbeit so ans Eingemachte geht und existenzielle Betroffenheit einfordert wie Sie, muss sich auch fragen lassen: Wie halten Sie’s in Ihrem Leben?
Wetz: Ich führe mit meiner Partnerin seit zehn Jahren eine diskret offene Beziehung, in der Seitensprünge erlaubt sind.
Das heißt?
Wetz: Man weiß, dass der andere sexuelle Abenteuer lebt, geht diesen aber nicht auf den Grund, weil Gemeinsamkeit und Vertrautheit stark genug sind, Ausbrüche auszuhalten. Kinderlosigkeit und der Umstand, dass wir nicht in einer Wohnung leben, erleichtern diese Lebensform. Es ist ein wenig das Sartre/de Beauvoir-Modell.
Aber Sie siezen einander nicht?
Wetz (lacht): Das nicht. Für uns funktioniert dieses Modell zwar nicht immer konfliktfrei, aber alles in allem wunderbar. Mir ist aber schon auch klar, dass es schwierig ist und bleibt, Geborgenheit und Vertrautheit zu schaffen und gleichzeitig dem Verlangen nach der vollen Intensität des Lebens Rechnung zu tragen.