71.500.000.000 Euro: Wegweiser durch den Haftungsdschungel
Die österreichischen Bundesländer haben Haftungen in Höhe von knapp 72 Mrd. Euro übernommen, etwa drei Viertel davon für Banken.
Von Stefan Jenewein und
Stefan D. Haigner
Seit den Ereignissen rund um die Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Bank wird viel über die dabei von der öffentlichen Hand übernommenen Haftungen geschrieben. Selten werden diese Haftungen jedoch bezüglich ihrer Höhe ins Verhältnis gerückt, noch seltener ist zu lesen, dass Haftung nicht gleich Haftung ist und damit grundsätzliche Unterschiede einhergehen.
Denn zum einen übernimmt die öffentliche Hand Haftungen für Unternehmen, die im Eigentum der öffentlichen Hand selbst stehen. So übernehmen Gemeinden oftmals im Infrastruktur- und Immobilienbereich Haftungen für Gemeindeverbände und ausgegliederte Betriebe. Als Beispiel kann die Stadt Innsbruck genannt werden, die in Summe Haftungen im Ausmaß von 165,1 Mio. Euro übernommen hat – unter anderem für die Innsbrucker Immobilien GmbH und die Innsbrucker Kommunalbetriebe AG.
Haftungen für Schulden
Wie das Beispiel der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG zeigt, übernimmt hier die öffentliche Hand Haftungen für Schulden von Unternehmungen, die Aufgaben von öffentlichem Interesse übernehmen. Man könnte sagen, dass diese Unternehmen Güter und Dienstleistungen her- bzw. bereitstellen, die aus welchen Gründen auch immer nicht oder nicht ausschließlich über den freien Markt laufen sollen oder können. Daher übernimmt hier die öffentliche Hand Haftungen für Schulden, die sie ansonsten selbst aufnehmen müsste – und die damit auch in den jeweiligen Budgets als solche auftauchen würden. Die Schulden dieser Unternehmen sind so gesehen letztlich Schulden der betreffenden Gebietskörperschaft im Ausmaß der übernommenen Haftungen.
Der ausgewiesene Schuldenstand der Stadt Innsbruck betrug 2012 übrigens 13,5 Mio. Euro – bei Einnahmen von knapp 313 Millionen Euro. Haftungen und Schulden zusammen belaufen sich also auf etwas mehr als die Hälfte der jährlichen Einnahmen der Stadt Innsbruck – im österreichweiten Vergleich ein ausgezeichneter Wert.
Problematischer stellt sich die Situation oftmals für Gemeinden mit geringeren laufenden Einnahmen dar. So beliefen sich die Schulden der Stadt Hall im Jahr 2011 auf 16,6 Mio. Euro. Zusätzlich bestanden Haftungen in Höhe von 60,3 Mio. Euro und übertrafen damit die laufenden Einnahmen der Stadt Hall bei Weitem.
Budgetkosmetik
Der Schuldenstand sämtlicher Tiroler Gemeinden betrug 2012 gut 772 Mio. Euro, die Haftungen aller Tiroler Gemeinden beliefen sich auf zusätzliche 871 Mio. Euro. Österreichweit haften die Gemeinden (ohne Wien) schätzungsweise mit mehr als 7 Mrd. Euro. Schätzungsweise, weil lediglich für 75 Prozent der österreichischen Gemeinden Informationen über die übernommenen Haftungen vorliegen und für die restlichen Gemeinden eben Schätzungen vorgenommen werden müssen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass diese Ausgliederungen – neben anderen Gründen – auch aus budgetkosmetischen Gründen vorgenommen wurden. Denn um einen möglichst geringen Schuldenstand auszuweisen (Stichwort Maastricht-Kriterien), wurden Unternehmen bzw. deren Verbindlichkeiten aus dem Budget ausgelagert und im Gegenzug für diese sogleich Haftungen übernommen. Die prominentesten Beispiele sind auf Bundesebene die ÖBB und die Asfinag, deren Schulden in der Höhe von mehr als 30 Mrd. Euro bis vor Kurzem im Schuldenstand des Bundes (knapp 200 Mrd. Euro) keine Berücksichtigung fanden. Mittlerweile müssen diese jedoch zum Teil dem Schuldenstand hinzugezählt werden. Die gesamten Haftungen des Bundes beliefen sich im Jahr 2012 auf mehr als 112 Mrd. Euro.
Haftungen für Risiken
Darüber hinaus übernimmt die öffentliche Hand aber auch Haftungen für Unternehmen, die nicht im überwiegenden Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Dies sind auf Bundesebene beispielsweise Haftungen zugunsten der österreichischen Exportwirtschaft (Ausfuhrförderungen) in Höhe von 65 Mrd. Euro. Diese Förderungen basieren u. a. auf dem Ausführförderungsgesetz, welches den Finanzminister zur Übernahme von Haftungen ermächtigt, sofern diese dem Export förderlich sind. Hier übernimmt gewissermaßen die öffentliche Hand zumindest einen Teil des unternehmerischen Risikos.
Im Sinne dieser Systematisierung nehmen die Haftungen der Bundesländer für ihre Landesbanken eine Mittelstellung ein, da hier weder die alleinige Risikoübernahme noch alleine die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes ausschlaggebend für die Haftungsübernahme sind. Dabei entfallen von den 71,5 Mrd. Euro (2011) an Haftungen, die die Bundesländer übernommen haben, knapp 51,7 Mrd. Euro und damit rund 75 Prozent auf Bankenhaftungen.
Das Land Tirol haftete im Rahmen der so genannten Gewährträgerhaftung Ende 2012 noch mit 5,6 Mrd. Euro für die Hypo Tirol Bank, Tendenz sinkend. Die Haftungen des Landes Kärnten für die Hypo-Alpe-Adria-Bank sind in den vergangenen Jahren zwar gesunken, beliefen sich im Jahr 2012 aber immer noch auf mehr als 15 Mrd. Euro. Die Banken bekommen diese Haftungen übrigens nicht umsonst, sondern müssen so genannte Haftungsprovisionen bezahlen. Die Hypo Tirol Bank überwies unter diesem Titel zuletzt rund 2,3 Mio. Euro an das Land Tirol.
Wettbewerbsvorteil
Aufgrund dieser Haftungen konnten sich Banken billiger finanzieren, denn Sparer und Investoren sind eher bereit, einer Bank Geld zu leihen, wenn dafür ein ganzes Bundesland haftet. Diese Banken hatten daher einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Banken, die nicht mit einer derartigen Haftung ausgestattet waren, weshalb diese Praxis heute auch nach geltendem EU-Wettbewerbsrecht als wettbewerbsverzerrend eingestuft wird.
Solange aber diese Haftungen nicht schlagend werden, wirken sie sich nicht auf die Budgets aus. Im umgekehrten Fall kann das öffentliche Budget stark in Mitleidenschaft gezogen werden, wie sich in Kärnten vielleicht schon bald zeigen wird. Sollten hier sämtliche Haftungen für die Hypo-Alpe-Adria-Bank schlagend werden, so würde sich die Verschuldung Kärntens auf 16,7 Mrd. Euro fast verzehnfachen – bei einem jährlichen Budget Kärntens von gut 2 Mrd. Euro.
Potenzielle Schulden
Fazit: Haftung ist nicht gleich Haftung. Hinter der einen stecken ausgelagerte Schulden, hinter der anderen die Übernahme von Risiken. Erstere sollten daher für alle verpflichtend und nach einheitlichen Regeln ausgewiesen werden müssen, damit ein aussagekräftiger Überblick über die finanzielle Gebarung einer Gebietskörperschaft gewonnen werden kann. Hinter den anderen verbergen sich potenzielle Schulden, da die Budgets erst belastet werden, wenn es etwa im Rahmen einer Exportförderung tatsächlich zu einem Zahlungsausfall kommt. Diese Haftungen werden daher nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schlagend, weshalb es wichtig wäre, die Risiken und damit letzten Endes die Haftungen entsprechend zu bewerten. Faktisch werden diese Haftungen jedoch mit 100 Prozent ausgewiesen – und damit so, als ob sie sicher schlagend würden.