Gletscherschmelze gibt gefrorene Schätze frei
Ein Vorteil des Klimawandels: Die Gletscherschmelze bringt zu Tage, was lange im Eis verborgen war. Archäologen geben nun Tipps, wie man den wertvollen Funden Ötzis Schicksal ersparen kann.
Von Judith Sam
Innsbruck –Als Ötzi 1991 in den Ötztaler Alpen geborgen wurde, ging man mit der 5250 Jahre alten Mumie nicht zimperlich um. „Ein Hüttenwirt versuchte sie mit einem Presslufthammer aus dem Eis zu befreien, wobei die Hüfte der Mumie beschädigt wurde. Zwei Tage später, als Ötzi ins Tal geflogen wurde, packten Bergretter seine umliegenden Gegenstände für den Transport in einen Müllsack“, erinnert sich Andreas Putzer.
Diese Vorgehensweise bereitet nicht nur dem Kurator des Südtiroler Archäologiemuseums Kopfschmerzen: „Vor allem, wenn man bedenkt, dass aufgrund der Gletscherschmelze in Zukunft immer mehr solche wertvollen Funde geborgen werden. Einige dieser Exponate sind übrigens bereits in unserer Ausstellung ,Frozen Stories – Gletscherfunde aus den Alpen‘ zu sehen.“
Damit Ötzis Schicksal künftigen Entdeckungen erspart bleibt, haben die Museumsmitarbeiter gemeinsam mit dem Amt für Bodendenkmäler, dem Alpenverein Südtirol und dem Club Alpino Italiano Alto Adige eine Liste der wichtigsten Punkte erstellt, die man beim Fund eines archäologisch wertvollen Objekts beachten sollte: „Diese Auflistung hängt ab sofort an allen Südtiroler Hütten, die in der Nähe von Gletschern oder bedeutenden Fundstätten stehen.“
1Zuerst sollte man den Gegenstand so, wie er im Eis liegt, fotografieren. Nur so kann das Umfeld später exakt nachgestellt werden. „Als der Ötzi entdeckt wurde, war keiner unserer Wissenschafter anwesend. Darum mussten wir uns später bei der Rekonstruktion des Fundortes auf die Aussagen der Wanderer vor Ort verlassen“, weiß Putzer.
2 Nun gilt es, die Fundstelle zu markieren: „Natürlich muss man als Wanderer für solche Fälle keine Spraydose parat haben. Aber wenn man etwa einen großen Stein neben dem Gegenstand platziert, kann man ihn später gut wiederfinden.“ Optimal wäre natürlich, wenn man den Ort gleich via GPS ermittelt: „Da heute quasi jeder ein Smartphone bei sich hat, stellt das für die meisten Finder kein Problem dar.“
3 So manchen gefundenen Gegenstand sollte man nicht liegen zu lassen, sondern mit ins Tal zu nehmen: „Das gilt etwa für Textilien, die sonst vom Wind weggeweht werden könnten.“ Packt man sie während des Transports in ein feuchtes Tuch und zuhause ins Gefrierfach, wären sie gut gelagert, bis man sie den Zuständigen überreichen kann.
4 Anschließend ist man gesetzlich verpflichtet, die Entdeckung beim Tiroler Bundesdenkmalamt zu melden. „Außer es handelt sich um einen Leichen- bzw. Mumienfund. Dann muss man allen voran natürlich die Polizei, nicht das Denkmalamt informieren“, weiß Johannes Pöll, Archäologe des Landeskonservatoriats für Tirol.
Hält man sich nicht an diese Meldepflicht, verliert man laut Pöll das Recht am Fundeigentum: „In Tirol gehört ein archäologisch bedeutsamer Gegenstand, den man am Gletscher oder etwa auf einer Baustelle entdeckt, nämlich zur Hälfte dem Finder, zur Hälfte dem Grundeigentümer.“ Anders ist es laut Putzer in Südtirol. Dort hat der italienische Staat zu 100 Prozent Anspruch auf den Gegenstand: „Daher muss man, wenn man einen Fund nicht meldet, mit einer Diebstahlsanzeige rechnen.“
Trotz dieser Warnung sei der Schwarzmarkt mit gefundenen Objekten riesig: „Derzeit werden sehr oft Relikte aus dem Ersten Weltkrieg entdeckt. Überraschend viele Hobbyforscher melden etwa die gefundenen Briefe, Munition oder Waffen nicht.“ Und das, obwohl ihnen laut Putzer ein Finderlohn zusteht: „Die Entdecker des Ötzis erhielten etwa mehr als 100.000 Euro.“
Wer einen Fund nicht abgibt, schade nicht nur sich selbst, sondern auch der Wissenschaft: „Denn Forscher selbst finden eigentlich nie wertvolle Objekte. Daher sind sie auf die Alpinisten angewiesen.“ Nur ihnen ist es zu verdanken, dass die Ausstellung „Frozen Stories“ etwa Schneestrümpfe aus dem sechsten Jahrhundert vor Christus und einen Fallschirm, Bergausrüstung und Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg zur Schau stellen kann. „Sie wurden von Hüttenwirten und Wanderern bei uns abgegeben“, freut sich der Kurator. Das Eis sei eben ein idealer Datenspeicher: „Umso wichtiger ist es, den wertvollen Funden Ötzis Schicksal zu ersparen.“