EU-Gipfel

Großbritannien allein auf weiter Flur

Vor der EU-Wahl im Falle eines Wahlsieges noch als fixer Kandidat für den Posten des Kommissionspräsidenten gehandelt, blies Jean-Claude Juncker doch starker Gegenwind entgegen.
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Morgen, Donnerstag, soll ein zweitägiger EU-Gipfel endlich Klarheit über den zukünftigen Kommissionspräsidenten bringen. Immer mehr Länder geben ihren Widerstand gegen Jean-Claude Juncker auf.

Brüssel/Stockholm/Wien – Der EU-Gipfel dürfte eine große und überwältigende Mehrheit für Jean-Claude Juncker als neuen Kommissionspräsidenten bringen, hieß es am Mittwoch in deutschen Regierungskreisen in Berlin. Wenn Großbritannien, das Juncker ablehnt, auf eine Abstimmung drängt, werde EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein Votum darüber ansetzen. Entscheidungen über andere EU-Topjobs stünden jedenfalls keine an.

Dies bedeute aber nicht, dass die Frage eines großen Personalpakets über den künftigen Kommissionspräsidenten hinaus mit einem neuen Ratspräsidenten, einem Eurogruppen-Vorsitzenden, dem Außenbeauftragten sowie dem Präsidenten des Europaparlaments nicht debattiert werde. Diskussionen am EU-Gipfel sowohl im Rahmen der Gedenkveranstaltung zum 100-Jahresausbruch des Ersten Weltkriegs in Ypern am Donnerstag sowie am zweiten Gipfeltag am Freitag in Brüssel seien nicht ausgeschlossen.

Schweden soll Juncker doch unterstützen

Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hat sich entgegen seines bisherigen Widerstandes nun doch bereit erklärt, Juncker als künftigen EU-Kommissionspräsidenten zu unterstützen. Reinfeldt sagte am Mittwoch laut der schwedischen Nachrichtenagentur TT, wenn es eine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Regierungschef für den Spitzenkandidaten der EVP (Europäische Volkspartei) für das höchste Kommissionsamt in Brüssel gebe und Juncker auch im Europaparlament die entsprechende Mehrheit erzielen kann, werde sich die schwedische Regierung dieser Entscheidung anschließen.

Reinfeldt hatte zu einer Gruppe mehrerer Regierungschefs um den britischen Premier David Cameron gehört, die Juncker als Kommissionspräsident verhindern will. Ungarns rechtskonservativer Ministerpräsident Viktor Orban blieb am Mittwoch weiter auf Cameron-Linie. Nach Widerstand haben sich nun jedoch auch die Niederlande dafür ausgesprochen, dass der Juncker EU-Kommissionspräsident werden kann. Der liberale Regierungschef Mark Rutte teilte mit, dass er Juncker bei einer Abstimmung im EU-Rat (EU-Gipfel) an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel nicht verhindern werde.

Absprachen dementiert

Absprachen im Vorfeld über die Verteilung der Spitzenposten zwischen der bei den EU-Wahlen siegreichen Europäischen Volkspartei und den zweitgereihten Sozialdemokraten wurden nicht bestätigt. Ebenso wurden von EU-Diplomaten Spekulationen zurückgewiesen, wonach bei einem EU-Sondergipfel im Juli der Posten des künftigen EU-Außenbeauftragten und Nachfolgers von Catherine Ashton besetzt werden könnte.

Dem Vernehmen nach könnten die Sozialdemokraten den Außenbeauftragten nun doch neben dem Christdemokraten Juncker als Kommissionschef erhalten, möglicherweise auch den Ratsvorsitz. Der slowakische Außenminister und frühere internationale Bosnien-Beauftragte Miroslav Lajcak ist als möglicher Nachfolger Ashtons im Gespräch. Lajcak ist parteilos, wird aber eher dem sozialdemokratischen Lager zugerechnet. Dem Vernehmen nach sind auch die italienische Außenministerin Federica Mogherini und die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa, für die Ashton-Nachfolge im Gespräch.

Schulz wohl weiterhin Parlamentspräsident

EU-Parlamentspräsident für die ersten zweieinhalb Jahre soll weiterhin der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz werden, für die nächsten zweieinhalb Jahren ein Mitglied der EVP. Eurogruppen-Chef wiederum könnte mit dem spanischen Finanzminister Luis Gindos ebenfalls ein Konservativer als Nachfolger des sozialdemokratischen Amtsinhabers Jeroen Dijsselbloem werden. Für den Ratsvorsitz war zuletzt die dänische Regierungschefin, die Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt, genannt worden, Bestätigungen für alle diese Varianten gab es keine.

Ziel am EU-Gipfel sei es jedenfalls, die Entscheidung über den Kommissionspräsidenten zu treffen, ehe das EU-Parlament zu seiner ersten Sitzungswoche Anfang Juli zusammentrete. In den anderen Personalfragen „stehen die Dinge nicht zur Entscheidung an“, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Bestimmte Personalfragen müssten nach dem Kommissionspräsidenten erst in der Folge entschieden werden. Am einfachsten sei es beim neuen EU-Ratsvorsitzenden, bei dessen Wahl es keines EU-Parlaments oder anderer Akteure bedürfe. Das Mandat Herman Van Rompuys reicht aber noch bis Ende November. Hier gebe es daher keinen unmittelbaren Handlungsdruck. Dagegen sei die Lage beim Außenbeauftragten eher komplex, da dieser auch Vizepräsident der EU-Kommission sein werde.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bekräftigte jedenfalls am Mittwoch im EU-Hauptausschuss im Parlament in Wien seine Unterstützung für Juncker. Eine Nominierung des ehemaligen luxemburgischen Ministerpräsidenten und Ex-Eurogruppen-Chefs scheine ihm auf dem Gipfel „mit qualifizierter Mehrheit möglich“, erklärte Faymann laut Aussendung.

Ukraine-Krise auf der Agenda

Das zweite Schwerpunkt-Thema des Gipfels wird die Lage in der Ukraine sein. Die Frage von Sanktionen stelle sich dabei aber erst Freitagvormittag. In den vergangenen Tagen habe es „Licht und Schatten“ gegeben, daher sei ein Urteil darüber heute zu früh. Ebenfalls auf der Agenda stehen die Bereiche Energie- und Klimapolitik. Dabei werde es aber nur zu einer Zwischenbilanz kommen, da eine Einigung über langfristige Ziele erst bis zum Oktober-Gipfel anstünden. (APA)