Fall Josef S.: „Schuldspruch aus Mangel an Beweisen“
Die internationale Presse reagierte mit Unverständnis auf das am Dienstag gefällte Urteil gegen den Akademikerball-Demonstranten.
Wien – Das umstrittene Urteil gegen den deutschen Akademikerball-Demonstranten Josef S. stößt in ausländischen Medien auf wenig Verständnis. Spiegel Online berichtet von einem „Schuldspruch aus Mangel an Beweisen“, die Berliner tageszeitung titelt sarkastisch: „Ein Zeuge reicht.“ Die Sächsische Zeitung beklagte bereits vor dem Urteilsspruch: „Im Zweifel gegen den Angeklagten.“
Vernichtend fällt der Prozessbericht von Spiegel Online aus, das im Urteil den juristischen Grundsatz, wonach Angeklagte im Zweifel freigesprochen werden, verletzt sieht. Schon die Anklage habe sich gelesen, „als wäre sie mit Schaum vor dem Mund verfasst worden“, kritisiert das Onlinemagazin mit Blick auf den verwendeten Begriff „Demonstrationssöldner“.
Scharfe Kritik an Beweisverfahren
Das Beweisverfahren wird von dem deutschen Magazin mit folgenden Worten zerpflückt: „Der Beamte verwickelt sich in Widersprüche? Erklärbare Irrtümer, sagt der Richter. Die Aussagen des Beamten decken sich nicht mit denen seiner Kollegen? Besser, als wenn sie sich abgesprochen hätten, sagt der Richter. Der Angeklagte ist auf keinem der zahlreichen Fotos und Videos bei Straftaten zu sehen? Gut, dass wir nicht in einem Überwachungsstaat leben, in dem alles aufgezeichnet wird, sagt der Richter. Eine Gutachterin findet Schmauchspuren von einem Bengalo oder Böller auf dem rechten Handschuh von Josef S., er selbst ist aber Linkshänder? Hat nichts zu bedeuten, sagt der Richter, die Spuren auf dem anderen Handschuh könnten abgewaschen worden sein.“
Welt Online geht in ihrem ausführlichen Bericht auch auf die Kritik am Prozess ein. „Man wollte Josef zum Sündenbock machen“, titelt die Zeitung unter Verwendung eines Zitats des Aktivisten Michael Genner. Am Vortag hatte die Zeitung vom „kafkaesken Schicksal des Deutschen Josef S.“ geschrieben. Zu einer ähnlichen Einschätzung war auch die Sächsische Zeitung (Dienstagsausgabe) gelangt, die hervorhob, dass die Justizbeamten den Angeklagten im Gerichtssaal „wie einen Schwerverbrecher“ flankierten. Süffisant wird geschrieben, dass der Student der Materialwissenschaften im Hauptverfahren - im Zusammenhang mit den Nitritspuren auf seinem Handschuh - auch eine „kostenlose Vorlesung über Nitrit-Pökelsalz“ erhalten habe. „Ob er an dem Abend vielleicht eine Bratwurst gehalten hat, fragte niemand.“
Eine einzige Zeugenaussage
Die Frankfurter Rundschau (Mittwochsausgabe) schreibt in ihrem Bericht, von „starkem Beweismangel“ in dem Prozess, die tageszeitung (Mittwochsausgabe) von einem „umstrittenen Indizienprozess“. „Die Verurteilung basiert auf einer einzigen Zeugenaussage eines Polizisten in Zivil, der sich unter die Demonstranten gemischt hatte. Mehreren Dutzend weiterer Zeugen, darunter Polizisten, Müllmänner und Journalisten, war der Angeklagte nicht aufgefallen“, heißt es in dem Artikel. Auch die Süddeutsche Zeitung (Mittwochsausgabe) konstatierte „erhebliche Zweifel“ an der Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft.
„Ohne Handschellen durfte Josef S. gestern den Gerichtssaal verlassen. Als schuldig gilt er trotzdem“, fasste der Zürcher Tages-Anzeiger (Onlineausgabe) den Prozessausgang zusammen. Die Zeitung spricht von einem „höchst umstrittenen Prozess“, der von Linksparteien und zahlreichen Zeitungen als „kafkaesk“ verurteilt worden sei. „Die Kommentatoren reagierten empört. Einer schrieb, in Wien müsse eben jeder seine Unschuld beweisen.“ Ins selbe Horn stieß auch die deutsche Tageszeitung Neues Deutschland (Onlineausgabe): „Die Beweise waren dünn und das Urteil nicht nur für den Beschuldigten hart: Demonstrieren in Wien ist gefährlich geworden.“ (APA)