Interview

Sigrid Löffler: „Es geht eher um Styling als um Stil“

Literaturkritikerin Sigrid Löffler über planbaren Erfolg, skeptische Kollaborateure und unsichtbare Einflussfiguren des Literaturbetriebs.

In ihrem neuen Buch „Nachkommen.“ beschreibt Marlene Streeruwitz den Literaturbetrieb als Branche, in der nicht über Texte, sondern nur von Büchern (als zu verkaufendes Produkt) gesprochen wird. Sehen Sie als langjährige Beobachterin der Szene eine ähnliche Entwicklung? Geht es auch in der Literaturbranche letztlich nur ums Geschäft?

Sigrid Löffler: Nein. Die deutschsprachigen Qualitätsverlage wollen immer noch Qualitätsautoren publizieren, aber sie wollen (und müssen) sie naturgemäß auch verkaufen. Das Stichwort heißt Quersubventionierung. Mittels ein, zwei (erhofften) Bestsellern werden weniger marktgängige, aber literarisch bedeutende Titel verlagsintern subventioniert. Mithilfe der Bestseller-Autorin Isabel Allende hat sich beispielsweise der Suhrkamp Verlag viele Jahre lang die Publikation von Büchern leisten können, die ihm zwar viel Ehre, aber wenig Gewinn eingebracht haben.

Es erhärtet sich der Verdacht, dass ein Autor, eine Autorin, neben einem Text auch ein vermarktbares Image braucht, um wahrgenommen zu werden.

Löffler: Die Rolle von Autoren im literarisch-medialen Kräftefeld hat sich deutlich verändert. Gefragt ist nun auch performative Kompetenz. Den Marketing-Abteilungen der Verlage geht es bei ihren jungen Autoren, vor allem bei ihren Debütanten, eher um Design und Styling als um literarischen Stil. Nicht so sehr ihre Bücher – die Autoren selbst sollen das Produkt sein, das vermarktet wird. Man denke an Katja Petrowskaja, Helene Hegemann oder Judith Hermann. Auch der Exoten-Bonus wird zunehmend öfter vermarktet, etwa bei Taiye Selasi oder Chimamanda Adichie. Die jüngere Autoren-Garde hat längst verinnerlicht, dass sie über vielfältige mediale Fertigkeiten verfügen muss, wenn sie als Fulltime-Autoren im Geschäft bleiben möchte. Sie ist medial versiert, verfügt über eine hohe Medien-Kompetenz, bewegt sich gewandt und selbstsicher durch die Medien-Öffentlichkeit und ist herzeigbar nicht nur in Lesungen, sondern auch in Talkshows.

Das hängt aber nicht unbedingt mit der Frage nach Bestsellern zusammen. Bestseller sind nochmal eine andere Kategorie im Buchgeschäft.

Sind Bestseller planbar?

Löffler: Ja und nein. Einerseits können clevere Marketing-Strategien einen Bestseller kreieren. Die Erfolgsfaktoren heißen „Pull“, „Content“ und „Full-line Publishing“. Diese Faktoren müssen stimmen. Um beim Konsumenten „Pull“ zu erzeugen, bedarf es der Leitplankenfunktion von (aus den Medien) bekannten Namen, die dem Konsumenten die Wiedererkennung erleichtert. „Content“ und „Full-line Publishing“ meinen einen möglichst weltweit anschlussfähigen Stoff, der sich für einen dynamischen Verwertungsprozess in kataraktartigen Stufen eignet: Das Buch muss weltweit verständlich, verfilmbar, multimedial weiter verformbar und All-Age-kompatibel sein (d. h. kindertümlich und doch erwachsenen-tauglich). Erwünscht wäre ferner ein großes Merchandising-Potenzial an Spielzeug, CDs, T-Shirts, Computer-Spielen und Souvenirs. Die „Harry Potter“-Romane haben diese Bedingungen beispielhaft erfüllt.

Andererseits lassen sich Bestseller nicht erzwingen. Es gibt im launischen Buchgeschäft keinen sicher kalkulierbaren Bestseller vom Reißbrett. Das beweisen Mega-Flops wie kürzlich die Memoiren der Präsidenten-Gattin Bettina Wulff. So gesehen sind Bestseller die unverhoffte Belohnung für Verleger mit Spürsinn, mit Geschmack und Findigkeit und dem Instinkt für das richtige Buch zur richtigen Zeit. Wenn dann noch ein paar günstige Umstände zusammenwirken – ein alerter Autor, ein griffiges Thema, ein Jubiläum, das Mitspielen der Medien –, dann werden „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark, „1913“ von Florian Illies oder „Die Korrekturen“ von Jonathan Franzen zum Bestseller, sogar zum Longseller.

Auch in der Literaturkritik ist eine Tendenz zum Superlativ feststellbar: Es scheint nur „neue Sterne am Literaturhimmel“, „wichtigste Stimmen ihrer Generation“ und „wiederentdeckte Meisterwerke“ zu geben. Ist die Literaturkritik Teil dieser Vermarktungsmaschine?

Löffler: Die professionelle Literaturkritik verliert laufend an Wirksamkeit und Einfluss. Diesen Renommee-Verlust versuchen manche Kritiker durch grelle Superlative zu überschreien, in der Hoffnung, dass es ihre Testimonials auf die Buchcover schaffen. Die Verlage sähen den Kritiker am liebsten als verlängerten Arm ihrer Marketing-Abteilungen. Deshalb kooperieren sie so gerne mit dem Service-Journalismus, also dem unkritischen Kuschel-Journalismus. Dessen marktbegleitende und werbungsorientierte Dienstleister-Berichterstattung ist eine Art „Embedded Journalism“, hat aber mit Literaturkritik nichts mehr zu tun. Einerseits muss sich die seriöse Literaturkritik ihrer Rolle innerhalb der Bücher-Vermarktung bewusst sein, andererseits muss sie, um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen, ihre Unabhängigkeit und kritische Urteilskompetenz bewahren und darf nicht dem Trend zur fröhlichen Konsumentenberatung nachgeben. Vertretbar und empfehlenswert ist die Haltung des skeptischen Kollaborateurs: Der Kritiker wahrt kritische Distanz zu den Medien, mit denen er (notgedrungen) kooperiert. Er zieht die kritische Grenze dort, wo das Verkaufsgespräch mit dem Kunden beginnen würde.

Welche Rolle spielen Literaturagenten (oder Agenturen), über deren Tätigkeit die Öffentlichkeit ja nur sehr wenig erfährt?

Löffler: Es gibt unsichtbare Einflussfiguren, die das Buchmarkt-Geschehen steuern – Markt-Strategen, die letztlich bestimmen, was wir lesen; Strippenzieher, die im Hintergrund umso stärker wirksam sind, je weniger sie dem Lesepublikum bewusst werden: literarische Agenten; Verlags-Scouts und Verlags-Lektoren; die Vertriebsexperten der Verlage, die Chef-Einkäufer der großen Buchhandelsketten. Diese Leute bestimmen, welche Bücher Spitzentitel der Verlage werden, ja, welche Bücher dem Publikum überhaupt vor Augen kommen.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und den in den 1990er-Jahren entstandenen Literaturinstituten und Schreibschulen, wie in Hildesheim oder Leipzig?

Löffler: Die Creative-Writing-Schulen üben einen immer stärkeren Einfluss auf den Buchmarkt und auf den Schreibstil der Absolventen aus. Sie haben die Tendenz zur Homogenisierung der Schreibstile. Auch das Bachmann-Wettlesen hat über die Jahrzehnte hinweg einen bestimmten Schreibstil befördert und durch Auszeichnung immer weiter perpetuiert. Junge Autoren neigen dazu, sich daran zu orientieren. Die stärksten Talente aber kümmern sich nicht darum. Autoren wie Marion Poschmann, Brigitte Kronauer, Thomas Lehr, Sibylle Lewitscharoff oder Lutz Seiler pflegen ihren Eigensinn und pfeifen auf Creative-Writing-Diktate – zum Glück des Lesers.

Täuscht der Eindruck, dass Autorinnen und Autoren mittlerweile eine geringere Halbwertszeit haben?

Löffler: Kurzfristig gesehen, ist der Erfolg des letzten Buches die Richtschnur für das Überleben der Autoren in ihrem Verlag. Zum Glück orientieren sich gute Verleger nicht daran, sondern halten an Autoren, von denen sie überzeugt sind, auch weiterhin fest, unabhängig von Konjunktur-Zyklen.

Das Gespräch führte Joachim Leitner.