Ein Tango gegen Angst und Einsamkeit
In „Mittsommernachtstango“ sucht die Dokumentarfilmerin Viviane Blumenschein die Spuren des Tango.
Innsbruck –In einem Werbeclip für ein Kräuterbonbon besucht ein Schweizer eine finnische Saunarunde, um ihnen die schützenden Handtücher oder ein Geständnis zu entreißen. Ängstlich geben sie schließlich zu, die Zuckerln haben Finnen nicht erfunden. Dieser Dreißigsekünder lässt sich mühelos auf 90 Minuten aufblasen, mag sich die Dokumentarfilmerin Viviane Blumenschein gedacht haben, das Zuckerl muss nur durch Tango ersetzt werden und die Intrige ist perfekt, vor allem wenn sie einen prominenter „Kulturhistoriker“ in die Welt setzt. Diesen gibt Aki Kaurismäki, der sich seit Jahren im Kino eher rarmacht.
Es waren Hirten, erzählt Kaurismäki, die mit traurigen Tangomelodien ihre Angst vor den Wölfen und die Qualen der Einsamkeit besiegt haben. Um 1850 waren es schließlich Seeleute, die den finnischen Tango über das Meer in die Welt getragen haben, bis er in Buenos Airos zur argentinischen Erfindung wurde.
Die Regisseurin Blumenschein findet in Buenos Aires drei Tango-Musiker, die sich auf den Weg machen, den ungeheuerlichen Tangoschwindel vor Ort zu entlarven. Für den Sänger „Chino“ Laborde, den Gitarristen „Dipi“ Kvitko und den Bandoneonspieler Pablo Greco ist die Schlacht ohnehin längst verloren, seitdem sich die Welt des Tangos als „Weltkulturerbe“ bemächtigt hat, aber nichts von den Problemen wissen möchte.
Der Kulturschock in den endlosen Wäldern Finnlands könnte nicht größer sein. Wider Erwarten finden sie nicht Trolle, sondern lebendige, wenn auch seltsame Menschen. Die spielen für schüchterne Finnen zum Tanz auf oder ziehen mit einem Moped eine Ein-Mann-Sauna hinter sich her. Chino, Dipi und Pablo befinden sich plötzlich in einem Film von Aki Kaurismäki, aus dem es kein Entkommen gibt, da auch das Auto aus einem Kaurismäki-Film zu kommen scheint. Am Ende treffen die Argentinier noch Finnlands Tango-Sänger Reijo Taipale, der 1962 mit „Satumaa“ zu Finnlands Superstar geworden ist. Mit diesem herzzerreißenden Tango trat Taipale 1990 auch in Kaurismäkis Film „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ auf, womit sich der Kreis der Huldigung an den finnischen Filmemacher schließt. (p. a.)