Die Jagd auf Stress ist eröffnet
Was haben Qigong und Bogenschießen gemeinsam? Im Seminar zweier Tiroler lernt man, wie man eine Kombination aus beidem nutzen kann, um Stress und Burnout zu bewältigen.
Von Judith Sam
Natters –Wäre ich mit Pfeil und Bogen auf der Jagd, könnten sich die Tierschützer dieser Welt entspannt zurücklehnen. Denn die einzigen gefährdeten Arten wären Schnecken, auf die ich auf der Suche nach im Unterholz verschollenen Pfeilen trete. Meine Trefferquote, selbst auf eine riesige, bewegungslose Scheibe, liegt bei null.
„Du bist ja Anfänger, da ist das ganz normal. Außerdem geht es bei uns nicht darum, zwanghaft zu treffen, sondern um Burnout-Prävention und Stressbewältigung“, versucht Trainer Ernst Huber mich aufzubauen. Zusammen mit Monika Brandauer bietet er am Natterersee eine Kombination aus Bogenschießen und Qigong an.
Die beiden Sportarten haben laut Brandauer mehr gemeinsam, als man meinen würde: „Beim Schießen werden rasch Verspannungen oder Mängel in der Haltung enttarnt. Qigong hilft diesen Problemen entgegenzuwirken und die Konzentration anzukurbeln. Die ist dann wiederum dem Schießen dienlich.“
Klingt überzeugend – zumindest in der Theorie. Doch in der Praxis strapaziert bereits die Qigong-Aufwärmrunde meine Nerven. In Zeitlupe die Arme kreisen zu lassen, sich zu strecken und zu dehnen, bringt mich meinem Ziel, die Mitte der Scheibe zu treffen, um nichts näher. „Dein Verhalten ist typisch für die heutige Zeit. Man ist den ganzen Tag darauf fokussiert, berufliche Ziele zu erreichen, Zeitlimits einzuhalten und Effizienz an den Tag zu legen – daher kommt diese Unruhe“, resümiert Brandauer meine hastigen Bewegungen. Mit stoischer Ruhe beendet sie den Bewegungsablauf und schildert entspannt: „Qigong wird in China seit der Zeit um Christi Geburt als Meditationstechnik angewandt.“
Schön und gut. Aber langsam wird es Zeit, den Bogen zu spannen und die Bleispitzen auf die Zielscheibe zu jagen. Und endlich hat Huber Einsehen: „Stell dich 15 Meter vor die Scheibe, leg die Fingerspitzen an die Sehne, zieh sie bis zu deinem Mundwinkel, ziele und lass die Sehne los!“
Gesagt, getan, um Meter verfehlt. Das Einzige, was ich mehrmals zuverlässig hintereinander treffe, ist der Erdboden. „Das ist gut!“, erklärt Huber. Ich wittere Ironie, übergehe seine Aussage und bin bereits dabei, den Bogen wieder zu spannen, als der Sozialtherapeut zur Erklärung ansetzt: „Du hast mehrfach dieselbe Stelle am Boden, rechts unter der Scheibe, getroffen. Wenn du jetzt einfach etwas höher und weiter links zielst, wirst du treffen.“
Prompt geht mein nächster Pfeil ins Schwarze. Doch bevor ich in Euphorie ausbreche, habe ich das dringende Bedürfnis, meine Schultern zu lockern. Huber beobachtet mich: „Im Rücken bist verspannt, nicht wahr? Das lässt sich aufgrund deiner Haltung beim Schießen beobachten.“
Schon kündigt Brandauer die nächste Qigong-Runde an, um der Verspannung Herr zu werden. Während ich fieberhaft mit den Armen rudere, um bei der Balance-Übung auf einem Bein nicht ins Wanken zu kommen, steht die Shiatsulehrerin wie versteinert in einer Art Flamingo-Haltung vor mir: „Ist man gestresst, verlagert sich unsere Energie auf den Kopf. In den Seminaren, die wir anbieten, arbeiten wir daran, die Energie in die Mitte des Körpers zu verlagern und so zur Ruhe zu kommen.“
Zur versprochenen Ruhe komme ich erst eine Stunde später, als ich nach unzähligen Versuchen und Tipps von Huber gleich mehrfach die Zielscheibe treffe. „Da könnte ich fast Wilhelm Tells Erbe antreten“, protze ich. „Abgesehen davon, dass Tell eine Armbrust hatte, als er seinem Sohn einen Apfel vom Kopf geschossen hat, und du Pfeil und Bogen ... Aber keine Sorge, diese Verwechslung höre ich oft. Hauptsache, du hast etwas Entspannung gefunden.“
Weitere Informationen unter: www.iometa.eu