Türkisches Militär vor direktem Kampfeinsatz gegen IS
Am Dienstagabend legte die Regierung in Ankara dem Parlament eine Resolution für ein militärisches Eingreifen in Syrien und dem Irak vor. Dutzende Panzer und Kampfverbände haben bereits Stellung an der Grenze bezogen.
Ankara/Bagdad – Die Türkei hat angesichts des Vormarschs der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf die syrisch-türkische Grenzstadt Kobane Truppen an der Grenze zusammengezogen. Die Streitkräfte hätten 35 Panzer in der Region aufgefahren, berichtete die regierungsnahe Zeitung „Sabah“.
Die Regierung in Ankara legte am späten Dienstag dem Parlament eine Resolution für ein militärisches Eingreifen im Irak und in Syrien vor. An der Landgrenze im Süden der Türkei gebe es einen ernsthaften Zuwachs von Risiken und Bedrohungen, die die nationale Sicherheit wegen der jüngsten Entwicklungen in der Region bedrohten, heiße es in der Begründung des Antrags. Die Zeitung „Hürriyet“ schrieb ergänzend, das Mandat umfasse auch die Öffnung türkischer Militärbasen für ausländische Truppen. Über die Resolution soll am Donnerstag abgestimmt werden.
Die Türkei hatte bis vor kurzem eine führende Rolle in der von den USA geleiteten Militärkampagne gegen den IS abgelehnt. Sie befürchtete, dass dadurch letztendlich Syriens Präsident Bashar al-Assad und kurdische Kämpfer, die mit PKK-Rebellen in der Türkei verbündet sind, gestärkt werden könnten. Doch nach der vorübergehenden Geiselnahme von 46 Türken durch IS hat sich die Haltung geändert. So forderte Präsident Recep Tayyip Erdogan vor einigen Tagen, sein Land müsse Solidarität zeigen und sich an der Bekämpfung von IS beteiligen.
Mehr als 300 Dörfer um Kobane unter IS-Kontrolle
Die IS hat seit ihrem Vormarsch auf die Kurdenenklave Kobane über 300 Dörfer im Umland unter ihre Kontrolle gebracht. Insgesamt seien 325 Ortschaften innerhalb der letzten beiden Wochen von der Miliz eingenommen worden, berichtete die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstagabend. Im Irak flog erstmals auch Großbritannien Luftangriffe.
Die IS-Miliz steht mittlerweile im Osten, Süden und Westen vor der Stadt Kobane (auch Kobani, arabisch Ayn al-Arab), im Norden grenzt die Enklave, die bisher von kurdischen Volksschutzeinheiten kontrolliert wird, an die Türkei. Nach Angaben der oppositionsnahen Beobachtergruppe rückte die Terrormiliz bis auf zwei Kilometer an Kobane heran. Zwischen den Stellungen der IS und der Kurden liege nur noch ein freies Feld, berichtete deren Leiter Rami Abdel Rahman. „Die Kämpfer können sich sehen.“
Türkisches Territorium bedroht
Nach Angaben der Beobachtungsstelle bombardierten die USA und ihre arabischen Verbündeten am Dienstag IS-Stellungen in zwei Dörfern im Umkreis der Stadt. Die Extremisten selbst haben Kobane seit dem Wochenende wiederholt mit Artillerie beschossen.
IS-Einheiten rückten zudem auf das Grabmal von Süleyman Schah am Euphrat vor, das gemäß einem Abkommen aus dem Jahr 1921 türkisches Territorium ist und von einer Gruppe türkischer Soldaten bewacht wird. Berichte, wonach diese von der IS gefangen genommen wurden, dementierte der türkische Vize-Premier Bülent Arinc am Dienstagabend.
Erfreuliche Nachrichten gaben die Eltern von rund 70 im Mai in Aleppo entführten kurdischen Schülern bekannt. Ihre Kinder im Alter von 13 bis 15 Jahren seien wieder frei, zitierte die Beobachtungsstelle die Eltern. Die Entführten waren Teil von insgesamt 153 Schülern, gut 40 von ihnen wurden unmittelbar nach ihrer Geiselnahme wieder freigelassen, rund 30 Jugendliche würden sich weiterhin der Gewalt des „Islamischen Staates“ befinden.
Erste britische Luftschläge im Irak
Unterdessen hat sich auch Großbritannien erstmals aktiv in den Konflikt eingemischt. Britische Kampfflugzeuge haben erstmals Stellungen der Terrormiliz im Irak angegriffen. Wie das Verteidigungsministerium in London am Dienstag mitteilte, bombardierten Tornado-Maschinen am Dienstag erstmals IS-Stellungen, um kurdische Kämpfer im Norden des Landes zu unterstützen. Kurdische Einheiten vertrieben die IS-Miliz zudem aus mehreren Orten im Nordirak. Die Kurden setzten dabei auch schwere Waffen ein, die ihnen vom Westen geliefert worden waren, wie die irakische Nachrichtenseite Al-Mada berichtete.
In der irakischen Hauptstadt Bagdad starben in einer der schwersten Anschlagswellen seit Beginn der US-Militärintervention vergangenen Monat mindestens 35 Menschen, zahlreich wurden verletzt. In mehreren, vorwiegend von Schiiten bewohnten Vierteln detonierten Autobomben und Granaten. (APA/dpa/AFP/Reuters)