Autor Lutz Seiler hat „30 Aktenordner voller Fassungen zu ‚Kruso‘“

Berlin (APA/dpa) - Lutz Seiler spricht mit ruhiger Stimme, in jeder seiner Antworten steckt eine fesselnde Geschichte. Im Interview der Nach...

Berlin (APA/dpa) - Lutz Seiler spricht mit ruhiger Stimme, in jeder seiner Antworten steckt eine fesselnde Geschichte. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa erzählt der 51-Jährige von seinem ersten literarischen Edelstein, von Romanleben und Gedichtleben und warum er 30 Aktenordner voller Fassungen seines Romandebüts „Kruso“ besitzt, mit dem er für den Deutschen Buchpreis nominiert ist.

Frage: In Ihrem frühen Lebenslauf deutet nichts auf eine Karriere als Autor hin. Sie haben eine Lehre als Baufacharbeiter gemacht und als Zimmermann und Maurer gearbeitet. Wie sind Sie zur Literatur gekommen?

Antwort: Das Schreiben fing während der Armeezeit an (bei der Nationalen Volksarmee NVA der DDR, Anm.d.Red.). Im Grunde fing da das Lesen an und das Schreiben war dann gleich mit dabei. Wir waren zwölf Soldaten auf einer Stube und es war so, dass man in der Freizeit prinzipiell diese Laubsägearbeiten machte, Weihnachtsschmuck aus Sperrholz sägen. Alle saßen um einen kleinen Tisch mit diesen Stichsägen und haben versucht, das Ohr eines Rehs hinzubekommen oder die Flinte eines Jägers. Das war Filigranhandwerk. Ich habe einen dieser Schwibbögen, diese Kerzenbögen, die man sich ins Fenster stellt, fertig bekommen, dabei aber so viele Sägeblätter zerbrochen, auch die Reservesägeblätter meiner Kameraden, dass ich vom Tisch verbannt wurde. Dann lag ich da im Bett und habe angefangen zu lesen (lacht). Es war eigentlich eine Verlegenheit und ich musste mich später erst daran gewöhnen, dass es ein Lesen gibt ohne Holzbearbeitungsgeräusche im Hintergrund und ohne diesen feinen Staub, der sich auf die Schleimhäute legt. So hat das Lesen angefangen, ganz frei, das heißt ohne Auswahlkriterien.

Frage: Gab es einen bestimmten Autor, der Sie damals besonders beeindruckt hat?

Antwort: Ich habe damals sehr viel Schrott gelesen, glaube ich. Ich habe Bücher aufgekauft, die in der Bibliothek dort in Merseburg aussortiert worden waren. Da stand immer so eine Kiste, wo man für 50 Pfennig Bücher erwerben konnte. Einen Edelstein gab es dabei doch, wie ich später bemerkt habe: die Gedichte von Peter Huchel, den ersten Gedichtband, 1948 erschienen. Ich weiß nicht, wonach das Aussortieren funktionierte bei den Bibliothekaren dort, jedenfalls stand der in dieser Kiste und war eigentlich schon damals eine bibliophile Kostbarkeit. Das wussten die nicht, das wusste ich nicht. Das war das erste große wichtige Buch damals.

Frage: Sie sind Lyriker und haben sich 2010 entschieden, einen Roman zu schreiben.

Antwort: Das war keine Entwicklung von der Lyrik hin zur Prosa, beides ist mir gleichermaßen wichtig. Es gibt auch nicht diese Hierarchie, in der ein Roman vielleicht ganz oben gesehen wird. Für einen Autor ist ein gutes Gedicht genauso wertvoll wie eine gute Erzählung oder ein gelungener Roman. Man kann auch nicht so ohne weiteres vom Gedicht zum Roman wechseln, abends schnell noch eine Seite Prosa schreiben oder umgekehrt noch ein Gedicht. Man hat diese verschiedenen Leben, das Gedichtleben und das Romanleben, und das ist sehr schön. Man kann zwischen diesen Leben hin und her gehen, nur nicht zu oft, denn der Weg ist ziemlich weit.

Frage: Ihr Romandebüt „Kruso“ spielt auf Hiddensee, wo Sie in den späten 1980ern gejobbt haben. Fühlen Sie sich der Insel verbunden?

Antwort: Hiddensee ist die schönste Insel der Welt, bis heute. Das hat sich nicht geändert, obwohl man ja inzwischen auch andere Inseln sehen durfte und in der Welt - ein bisschen jedenfalls - herumgereist ist. Bestimmte Dinge bleiben, auch dieser Blick von Hiddensee über das Meer nach Mon. An 30 Tagen im Jahr sieht man die dänische Insel, die Hiddensee gegenüberliegt. Das ist für alle Zeiten der Blick, in den die Sehnsucht nach der Ferne eingeschlossen ist.

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Frage: Wie schreiben Sie Ihre Texte?

Antwort: Die erste Niederschrift immer mit Hand, dann irgendwann in den Computer und dann endlos Fassungen, die immer einzeln ausgedruckt werden in der Überarbeitung. Ich habe etwa 30 Aktenordner voller Fassungen zu „Kruso“, die ich bis heute aufgehoben habe - mehr aus Angst wahrscheinlich oder Aberglauben (lacht).

(Das Gespräch führte Teresa Fischer, dpa)

((A V I S O - Die APA hat am 9.9. unter APA065 eine Rezension gesendet.))