US-Psychotherapeut Yalom: „Nicht vor den Problemen weglaufen“

Palo Alto (Kalifornien) (APA/dpa) - Gewöhnlich hört der 83-jährige Psychiater und Bestsellerautor Irvin D. Yalom seinen Patienten zu, stellt...

Palo Alto (Kalifornien) (APA/dpa) - Gewöhnlich hört der 83-jährige Psychiater und Bestsellerautor Irvin D. Yalom seinen Patienten zu, stellt Fragen und gibt Antworten. In der Dokumentation „Yaloms Anleitung zum Glücklichsein“ der Schweizer Regisseurin Sabine Gisiger lässt er nun auch Einblicke in sein Innenleben zu. Die Menschen müssen sich ihren Problemen stellen, sagt er im Interview der Nachrichtenagentur dpa.

Herr Professor Yalom, der Film „Yaloms Anleitung zum Glücklichsein“ dreht sich um Ihr Leben, Ihre Arbeit, Ihre Familie und auch um Ihr eigenes Innenleben. Was möchten Sie den Zuschauern mit auf den Weg geben?

Yalom: Ich hoffe, dass die Menschen ihr Leben etwas wichtiger nehmen. Dass sie ihr Leben betrachten und Wege finden, etwas zu verändern, gemäß der alten Devise von Sokrates „ein ungeprüftes Leben ist nicht lebenswert“. Ich hoffe, dass die Leute nicht vor ihren Problemen wegrennen, sondern ihr Leben anschauen und dann auch bewusster und glücklicher leben.

In Gruppen- und Einzeltherapien haben Sie über Jahrzehnte hinweg vielen Menschen eine Anleitung gegeben, ihre Probleme zu bewältigen. Welche Beziehung haben Sie zu ihren Patienten?

Yalom: Mir ist es sehr wichtig, eine enge Beziehung mit dem Patienten aufzubauen, denn daran mangelt es oft in ihrem Leben. Menschen verzweifeln, wenn sie keine fürsorgliche Unterstützung von anderen Leuten bekommen. Wenn man einen sehr vertrauensvollen und aufrichtigen Zugang findet, dann kann dies für den Patienten wie ein Anker sein. Wenn sie zu dieser Beziehung fähig sind, können sie versuchen, das auf ihr Leben zu übertragen. Sie verstehen dann, was eine gute Beziehung ausmacht.

Welches sind die vordringlichen Probleme, die dem Glücklichsein im Weg stehen?

Yalom: Viele Menschen empfinden Angst vor großen Veränderungen in ihrem Leben, vor dem Alter, vor Krankheiten, vor Scheidungen. Sie fragen nach dem Sinn des Lebens. Sie klagen, dass sie keine erfüllten Beziehungen oder enge Freunde haben. Ich frage sie dann, was sie getan haben, dass sich Menschen von ihnen abwenden oder warum sie nicht zu mehr Nähe fähig sind. Man findet nicht einfach eine gute Beziehung, man muss daran arbeiten. Auch ich und meine Frau hatten schwierige Zeiten, aber wir haben daran gearbeitet, und nun sind wir seit 60 Jahren miteinander verheiratet.

Gibt es etwas, woran Sie persönlich arbeiten, um erfüllter zu Leben?

Yalom: Ich beschäftige mich oft mit dem Thema der Reue. Viele Menschen bedauern ständig, was sie in ihrem Leben noch nicht getan haben. Ich versuche so zu leben, dass ich nicht mehr und mehr Reue anhäufe, sondern eher das tue, was ich tun möchte. Ich glaube, dass ich inzwischen an diesem Punkt angekommen bin. Es ist mein Ziel ein reuefreies Leben zu führen.

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ZUR PERSON: Irvin D. Yalom , 1931 in Washington geboren, zählt zu den bekanntestens Psychotherapeuten in den USA. Viele seiner Lehrbücher, Geschichtensammlungen und Romane sind internationale Bestseller. Nach seinem Ruf an die renommierte Stanford Universität in Kalifornien in den 1960er Jahren wurde er als Pionier der Gruppentherapie bekannt. Der 83-Jährige lebt mit seiner Frau in Palo Alto und hat vier erwachsene Kinder.

(Das Gespräch führte Barbara Munker/dpa)