Formel 1

Toto Wolff im Interview: „Ich kann das nicht ewig machen“

Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff.
© gepa

Vor dem Formel-1-Showdown in Abu Dhabi nahm sich Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff Zeit für die TT: Der Wiener über das interne Titelduell, den Genussfaktor und warum Pep Guardiola ein Vorbild sein könnte.

Formel-1-Weltmeister 2014 – wie klingt das?

Toto Wolff: Das klingt unglaublich. Weltmeister heißt, der Beste der Welt zu sein. Das ist ein Titel, den man sich nicht selbst anstecken kann. Es bedeutet, dass wir auf jeder Position, jeder in seiner Rolle, die beste Arbeit abgeliefert haben.

Wie viel Zeit für den Genuss blieb Ihnen nach dem fixierten Konstrukteurs-Titel in Sotschi (Russland)?

Wolff: So gut wie gar keine. Wir hetzen seither von Termin zu Termin. Es war ein kurzer Moment der Zufriedenheit auf dem Rückflug aus Sotschi. Da sickerte es, dass uns dieser Titel nicht mehr zu nehmen ist. Das war’s.

Noch vor dem Finale am Sonntag: Wie intensiv war das bisherige Jahr für Sie im Rückspiegel betrachtet?

Wolff: Es war sehr kräfteraubend. Was gar nicht geholfen hat, war der Radunfall im Sommer. Da hatte ich einen Gips bis zur Schulter und war drei Monate lang beeinträchtigt. Und auch teamintern haben wir lange nicht geglaubt, dass wir nach dem Sommer unsere Dominanz halten werden können. Zusätzlich kamen unsere Probleme in der DTM (Deutsche Tourenwagen Masters, Anm.). Ganz ehrlich, ich freue mich auf die zehn Tage zu Weihnachten, wenn ich abschalten kann.

Pep Guardiola, Trainer bei Bayern München, lebte in seinen vier Jahren bei Barcelona (2008–2012, Anm.) den Fußball so intensiv, dass er anschließend ein Jahr Auszeit nehmen musste. Ihre passionierte Arbeitsweise wirkt ähnlich. Ein vorstellbares Modell für Sie?

Wolff: Wenn man mitten im Thema ist, kann man nicht so weit vorausblicken. Man würde automatisch nachlassen. Mir ist gleichzeitig aber auch bewusst: Wenn man diesen hohen Gang fährt, kann man das nicht ewig machen. Darum muss man sein Umfeld so strukturieren, dass man so wenig wie möglich Nebengeräusche um sich herum hat. Ich versuche mir in den kleinsten Bereichen keinen Kopf zu machen. Was auf der anderen Seite bedeutet, 24 Stunden Formel 1 zu leben. Und da klingt ein Pep-Guardiola-Modell irgendwann einmal durchaus realistisch. Denn nur so kann ich meinen eigenen Anspruch, stets auf höchstem Niveau zu arbeiten, umsetzen.

Am Sonntag wartet die Titelentscheidung zwischen Ihren Piloten Nico Rosberg (GER) und Lewis Hamilton (GBR). Kann man davon ausgehen, dass Ihr persönlicher Albtraum ein technischer Ausfall bei einem Ihrer Fahrer wäre?

Wolff: Beide verdienen es, Weltmeister zu werden, aber es wäre der Super-GAU, wenn wir mit einem technischen Defekt für die Entscheidung sorgen würden.

Was sind für Sie die Gründe, warum WM-Leader Hamilton in der zweiten Saisonhälfte solch eine Siegesserie hinlegen konnte?

Wolff: Ich glaube, ihm kam die Situation in Spa sehr entgegen. Nico hat bei dem teaminternen Zusammenstoß die ganze Welle der Empörung abbekommen. Hamilton hat sich in Spa so geärgert, dass Rosberg für ihn zum Feindbild wurde. Und nichts treibt einen mehr an als ein Feind. Er braucht den Reibebaum. Jetzt ist das Verhältnis zwischen den beiden wieder besser und auf einmal schwenkt wieder alles in Richtung Nico.

Wie bewahren Sie sich Ihre Neutralität?

Wolff: Wir haben die letzten Wochen damit verbracht, alle Szenarien für Abu Dhabi durchzugehen. Was passieren kann und wie wir mit dem Sieger und dem Verlierer umgehen. Lewis hat mir vor zwei Tagen etwas gesagt: Es wird für den einen der beste und für den anderen der schlimmste Tag in seinem Rennfahrer-Leben sein. Das müssen wir berücksichtigen und darum gibt es an diesem Wochenende zum Beispiel kein Winner-T-Shirt. Du kannst einfach nicht dem einen Teil der Mannschaft, der desillusioniert ist, den Triumph ins Gesicht knallen.

Unabhängig vom WM-Ausgang: Die Verschwörungstheoretiker hatten und werden auch am Final-Wochenende Hochkonjunktur haben.

Wolff (lacht): Du kannst es nie allen Recht machen. Wenn das Auto einmal ausfällt oder sich jemand verbremst, saugen sich ein paar einfach Geschichten aus den Fingern. Diesen Leuten kann man einfach nicht helfen.

Die Kritik an der Formel 1 war selten so hart wie heuer. Nervt Sie so etwas?

Wolff: Mich hat es vor ein paar Jahren einmal genervt. Zu dieser Zeit wurden viele Kontroversen in den Medien diskutiert. Heute verstehe ich, dass dies Teil des Geschäfts ist. Die Königsklasse hat diesen erfolgreichen Status, weil sie für die Kontroverse steht. Wir fahren und streiten um die Wette. Und das wird in die Welt hinaustransportiert.

Aktuell gehen die Wogen hoch, weil die Konkurrenz versucht, Ihr Team in Sachen Motoren-Vorteil für die kommende Saison einzubremsen.

Wolff: Das ist prinzipiell legitim, ich würde es ebenso machen. Aber in dem Fall spricht die Logik für uns. Du kannst nicht jedes Jahr die Regeln ändern, man braucht Konstanz, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Wir haben einen Kompromiss vorgelegt, aber das, was unsere Gegner wollen, ist weit von der Realität entfernt. Deshalb befinden wir uns im Moment in einem „Standby“-Modus.

Ein Blick in die Zukunft: Warum wird es 2015 schwerer für Sie und Mercedes?

Wolff: Weil die Konkurrenz jetzt weiß, was der Maßstab ist. Es wird auch für uns intern schwerer, da wir das Motivations-Level hoch halten müssen – das ist nach Titelgewinnen stets schwer. Darum enden Erfolgs-Zyklen immer wieder.

Das Gespräch führte Daniel Suckert

Verwandte Themen