Großes Gefühlsdrama
Die letzten drei Symphonien Mozarts als „instrumentales Oratorium“.
Von Ursula Strohal
Innsbruck –Sein erstes Wort, sagt er, sei „Nein!“ gewesen. Was daraus wurde, ist ein rastloses Hinterfragen, eine unbändige Neugier, ein Suchen und Erkunden und Durchdringen mit wachem Geist und allen Sinnen. Nikolaus Harnoncourt, der Widerständige, ist der radikalste Dirigent unserer Zeit, nicht aus Geltungs-, sondern aus Forschungsdrang, aus Präzision, Denk- und Fühlarbeit. Voraussetzungen, um ein Pionier der historischen Aufführungspraxis zu werden.
1952 wurde Harnoncourt als Violoncellist Mitglied der Wiener Symphoniker. Ein Jahr später schon scharte er einen musikalischen Kreis um sich und seine Frau Alice, die Geigerin – den Concentus Musicus –, um die so genannte Alte Musik zu erkunden. Nach 17 Jahren verließ Harnoncourt die Symphoniker. Er ertrug es nicht mehr, wenn Dirigenten große Musikliteratur nachlässig „herunterpinselten“. Eine Aufführung von Mozarts g-Moll-Symphonie war das Initial für seinen Ausstieg.
Die g-Moll steht in der Mitte der letzten drei Symphonien Mozarts, einem Mysterium, mit dem sich Harnoncourt seit mehr als 60 Jahren auseinandersetzt. Seine jüngste Aufnahme der drei Symphonien mit dem Concentus, der in Hochform und aus vollem Herzen Harnoncourts Überzeugungsarbeit leistet, zeigt dieses Werk abgründig und depressiv, leidenschaftlich zerrissen. Die g-Moll steht zwischen der Es-Dur und der strahlend erlösenden C-Dur, und das ist Harnoncourts Botschaft: die drei Werke als Sinneinheit, als „instrumentales Oratorium“ zu begreifen und zu gestalten. Er argumentiert mit formalen Besonderheiten, mit der „Raffinesse, mit der Mozart dieselben drei Themen und Motive durch die drei Symphonien führt – gleichsam als Urbausteine“, und mit der Tatsache, dass Mozart die Symphonien 39 – 41 ohne Auftrag und rasch in einem Sommer komponierte.
Ein neuer Zugriff auf die Werke, ohne Weichspüler, von heißem Atem durchpulst, expressiv und zärtlich. Leuchtend, schroff, mit Attacken von Bläsern und Pauken, verblüffend anders in unzähligen vermeintlich vertrauten Wendungen und Übergängen, kammermusikalisch ungemein beredt – großes Gefühlsdrama.
„Die Musik Mozarts“, sagt Harnoncourt, „ist Sprache und spricht für sich. Die will so konkret und professoral gar nicht verstanden werden.“ Harnoncourt ist 85 geworden. Ein Musiker, der polarisiert. Der sprach- und bildmächtig die Musik auf ihren Ursprung zurückführt, damit neu beleuchtet, neu belebt und als Impulsgeber Musikergenerationen prägt.