Salzburger Festspiele: Florian Wiegand tritt aus Pereiras Schatten
Salzburg (APA) - Zweieinhalb Jahre lang ist er im Schatten von Alexander Pereira gestanden. Aber vor wenigen Wochen wurde das erste Konzertp...
Salzburg (APA) - Zweieinhalb Jahre lang ist er im Schatten von Alexander Pereira gestanden. Aber vor wenigen Wochen wurde das erste Konzertprogramm für die Salzburger Festspiele 2015 präsentiert, das explizit die Handschrift von Konzertchef Florian Wiegand trägt. Grund genug für die APA, den 40-jährigen deutschen Kulturmanager zum Gespräch zu bitten.
APA: Herr Wiegand, die Rahmenbedingungen für Ihre 85 Konzerte, die insgesamt einen finanziellen Überschuss für das Opernbudget abwerfen müssen, haben sich nicht wesentlich geändert. Worin besteht der Unterschied, ob Sie für Intendant Pereira oder für Intendant Bechtolf Konzerte organisieren?
Florian Wiegand: Alexander Pereira und ich haben alle Aspekte der Programmierung besprochen und gemeinsam erarbeitet, wobei er - seine guten Kontakte nutzend - viele Programmideen mit den Dirigenten selbst diskutiert und die wesentlichen Entscheidungen letztendlich selbst getroffen hat. Auch mit dem neuen Intendanten läuft die Planung im Team und im Konsens. Aber ich habe jetzt noch deutlich größere Freiheiten und daher auch wesentlich mehr Verantwortung.
APA: Wie viel des Konzertprogramms 2015 ist tatsächlich auf „Ihrem Mist“ gewachsen?
Wiegand: Da es in der Konzertplanung natürlich Vorlaufzeiten gibt, ist Pereira mit einigen Ideen 2015 noch präsent. So ist zum Beispiel das Konzept, mit den Wiener Philharmonikern in den Jahren 2015 und 2016 Werke zu präsentieren, die dieses Orchester im Lauf seiner Geschichte uraufgeführt hat, von Pereira gemeinsam mit „unserem Festspielorchester“ entwickelt worden.
APA: Sie selbst betonen, dass es „strukturgebende Konstanten“ gibt, die jedes Festspielprogramm prägen? Wie groß ist denn da der Gestaltungsspielraum wirklich zwischen selbsttragender Tradition und den Angeboten von Agenturen?
Wiegand: Es gibt Reihen wie die Mozart-Matineen, die Konzertreihen mit den Wiener Philharmonikern, der Camerata Salzburg, den Gastorchestern sowie die Solisten- und die Kammerkonzerte, die mehr oder weniger seit Jahrzehnten als Konstanten existieren. Aber innerhalb dieser Reihen sind die Freiheiten erheblich, das heißt: Welche Dirigenten lädt man ein, welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt man, welcher Interpretationsrichtung gibt man den Vorzug? Und ganz wichtig: Wie werden die Reihen untereinander verknüpft? Natürlich gibt es Interpreten, bei denen Veranstalter keinen Einfluss auf das Programm nehmen können. Beispielhaft hierfür steht Grigory Sokolov, der alle sechs Monate die Hälfte seines Programmes auswechselt und dann dieses und kein anderes spielt. Wer sich darauf nicht einlassen will, muss auf ihn verzichten. Aber in der Regel sind die Konzert-Programme der Festspiele das Ergebnis von Diskussionen mit den Künstlern und Ensembles. Ich würde sagen, dass etwa die Hälfte der geplanten Werke von uns programmiert worden sind, und die andere Hälfte ergibt sich aus den Wünschen der Musiker. Für das wichtigste Festival der Welt sind die Künstler oftmals gerne bereit, neue Programme einzustudieren.
APA: Erster Programmschwerpunkt ist auch im kommenden Jahr die „Ouverture spirituelle“, und zwar mit hinduistischer Musik. Kann es da Verbindungslinien geben zu den zentralen, abendländischen Sakralwerken?
Wiegand: Die gibt es tatsächlich, wenn man bedenkt, dass die den Messvertonungen zugrunde liegenden Texte seit den Anfängen des christlichen Kultgesanges mehr oder weniger unverändert blieben. Dennoch gelangen Komponisten wie Bach, Mozart, Schubert, Beethoven oder Bruckner zu höchst individuellen Aussagen. Und im Hinduismus sind es eben die Ragas, die seit Jahrhunderten unverändert den Ausgangspunkt bilden für die so unterschiedlichen Gesänge zum Lobpreis der Götter. Aber die musikalischen Ausprägungen in diesen beiden Weltreligionen können unterschiedlicher kaum sein. So werden die Konzerte mit der hinduistischen Musik sicherlich für die meisten Zuhörer eine Reise in eher unbekannte Klangwelten sein.
APA: Nach der jüdischen, der arabischen und zuletzt der buddhistischen Musik werden nach dem Hinduismus alle Weltreligionen bei den Festspielen abgespielt sein. Bleiben für diese Programmidee danach noch Entwicklungsmöglichkeiten?
Wiegand: Es bleiben Spezialgebiete zum Erforschen, etwa besondere Stile wie die der Ostkirchen oder einzelne Komponistenpersönlichkeiten. Aber wie genau es mit dieser erfolgreichen Auftaktwoche sakraler Musik ab 2016 weitergehen soll, ist noch nicht entschieden, da läuft gerade ein intensiver Diskurs.
APA: In der Reihe „Salzburg contemporary“ wird Pierre Boulez ins Zentrum gerückt. Viele Interpreten werden sich mit Komponisten beschäftigen, die den 90-Jährigen beeinflusst haben, etwa Debussy, Ravel oder Messiaen. Andererseits mit Komponisten, die von Boulez beeinflusst worden sind und werden, wie Neuwirth, Pintscher oder Widmann...
Wiegand: ...und zwar auch mit besonders aufwendigen Werken mit ungewöhnlichen Besetzungen. Wir werden so enge Weggefährten von Boulez wie Barenboim, Aimard oder Cambreling sowie Klangkörper wie das von Boulez gegründete Ensemble intercontemporain erleben.
APA: Ja, aber lässt sich daraus ableiten, dass der Moderne bei den Festspielen wieder mehr Augenmerk geschenkt wird als in den Jahren Pereiras?
Wiegand: Die Anzahl der Konzerte mit zeitgenössischer Musik hat sich seit vielen Jahren nicht verändert. Der Eindruck ist vielleicht dadurch entstanden, dass es uns in den vergangenen drei Sommern nicht so gut gelungen ist, die inhaltlichen Konzepte klar zu kommunizieren. Glücklicherweise genießt die zeitgenössische Musik in Salzburg seit Langem einen selbstverständlichen Stellenwert. Im Übrigen ist es für mich eine der schönsten Aufgaben als Konzertplaner - ich werde ja auch in der Intendanz Hinterhäuser ab 2017 weiterhin für die Festspiele tätig sein - der neuen Musik ihren gewichtigen Ort zu belassen.
APA: Sie bleiben also Konzertchef, obwohl das Konzert ja Hinterhäusers Kernkompetenz ist. Bemerkenswert.
Wiegand: Ja, darüber freue ich mich auch ganz besonders. Markus Hinterhäuser ist nachweislich einer der spannendsten Konzertplaner; von ihm kann ich sicherlich viel profitieren.
(Das Gespräch führte Christoph Lindenbauer/APA)