Kino

Eine Tierfabel über den Hunger nach Freiheit

© Studiocanal

Richard Starzak und Mike Burton setzen in ihrem Animationsfilm „Shaun das Schaf – Der Film“ auf Slapstick und verzichten auf Dialoge.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Zumindest aus der Sicht der Schafe war 1995 ein seltsames Kinojahr. In George Millers „Ein Schweinchen namens Babe“ wurden sie von einem Hausschwein durch die demütigende Erfahrung einer paramilitärischen Ausbildung geführt, während Shaun in „Wallace & Gromit unter Schafen“ seinen ersten anarchischen Auftritt hatte. Der Film gewann den Oscar für den besten animierten Kurzfilm und nach etwa 150 TV-Auftritten ist nun „Shaun das Schaf – Der Film“ das verdiente Starvehikel für das erfindungsreiche Schaf aus Knetmasse.

Die Farm, auf der Shaun als Vordenker einer kleinen Schafherde lebt, ist kein Gefangenenlager wie die Hühnerfarm in „Hennen rennen“ (2000), dem ersten abendfüllenden Kinofilm aus den britischen Aardman-Studios, also planen die Schafe nicht die Flucht vor Fron und Terrorregime, sondern – inspiriert von der Werbetafel auf einem Bus – einen freien Tag. Wie die Blätter von einem Abreißkalender verschwindet ein Tag nach dem anderen in der Mülltonne des Lebens. Die Schafe sperren den schlafenden Farmer in einen Wohnwagen und lassen ihn in die Landschaft rollen. Damit nimmt der Film Tempo auf, wie bei den Keystone-Cops holpert und fliegt der Kasten direkt in das Zentrum der großen Stadt. Der Farmer erwacht in einem Krankenhaus, als Mann ohne Gedächtnis sieht er einer ungewissen Zukunft entgegen. Diese dramatische Entwicklung sollte aber nicht die kleine Auszeit vom Konflikt zwischen Bestimmung und Freiheit überschatten, weshalb sich Shaun mit Wachhund und kleiner Herde auf den Weg in die Stadt macht, um den Farmer aus Amnesie und Großstadtleben zu retten. Die drei Schweine des Hofes haben auf diesen Moment lange gewartet. Ihr Machthunger ist George Orwells Erfindung aus seiner „Farm der Tiere“.

Seit „Hennen rennen“ schreibt Mike Burton die Drehbücher für die Animationsfilme aus der Aardman-Werkstatt in Bristol. Sein wesentlichster Beitrag war jeweils seine profunde Kenntnis der Filmgeschichte. Folgte „Hennen rennen“ noch der Dramaturgie des Kriegsfilms „Gesprengte Ketten“, zitiert er in „Shaun das Schaf“ das Slapstick-Kino der Stummfilmzeit und führt auch zum ersten Mal (mit Richard Star­zak) Regie. Für die Tonspur hat Burton die Filme von Jacques Tati studiert. Wie beim großen französischen Komiker wird kein einziges (verständliches) Wort gesprochen. Die Tiere verstehen nicht, was die Menschen brabbeln und die Schafe machen „Määh!“, wenn sie sich nicht im A-cappella-Chorgesang üben. Manche Dialoge sind allerdings zu erahnen. Der städtische Tierfänger hat den Zellentrakt des Tierheims nach dem Vorbild von „Das Schweigen der Lämmer“ nachgebaut, eine Katze macht den zischelnden Hannibal, aber wenn sich der Tierfänger umdreht, sagt er wahrscheinlich: „You’re talking to me?“ Radikaler als ähnliche Tierfabeln aus Hollywood verzichtet man bei den Aardman-Animationen auf Niedlichkeit bei der Charakterzeichnung der Tiere. Dennoch ist „Shaun das Schaf“ als Familienfilm ganz auf das Vergnügen der Kleinsten angelegt, die in einem manchmal beängstigenden Crashkurs die Grammatik der Filmsprache erlernen können.

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